Urlaubsanspruch: Arbeitgeber muss sich rechtzeitig kümmern
EuGH zu Urlaubsanspruch:Jahresurlaub: Arbeitgeber in der Pflicht
von Max Kolter
22.09.2022 | 17:09
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Urlaub verjährt nicht, wenn der Arbeitgeber Beschäftigte nicht zuvor auf Resturlaub hingewiesen hat. Eine Anhäufung von Urlaub über Jahre ist also möglich, sagt der EuGH. Warum?
Wer arbeitet, muss sich erholen. Deshalb haben Beschäftigte in der EU einen Rechtsanspruch auf Mindesturlaub - es ist sogar ein Grundrecht. Praktisch heißt das: Arbeitnehmer können vom Arbeitgeber verlangen, innerhalb eines Jahres eine bestimmte Anzahl an Tagen zur Erholung gewährt zu bekommen. Die europäische Arbeitszeit-Richtlinie sieht 20 Tage vor, das deutsche Bundesurlaubsgesetz spendiert noch vier Tage extra.
Anspruch und Wirklichkeit gehen jedoch auseinander: Jeder dritte Arbeitnehmer nimmt seinen Urlaub nicht vollständig, laut einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB. Die Gründe sind unterschiedlich: hohe Arbeitsbelastung, Angst vor Arbeitsplatzverlust oder längerfristige Krankheit.
EuGH: Arbeitgeber muss aktiv auf Urlaub hinweisen
In all diesen Fällen erreicht der gesetzliche Mindesturlaub seinen Zweck nicht: Die Erholung bleibt aus. Zwar gibt es im nächsten Jahr neuen Urlaub. Aber dieser ist für die neue Arbeitszeit da; er kompensiert nicht die Anstrengungen aus den Vorjahren. Sich rückwirkend erholen - das geht nicht.
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Das deutsche Bundesurlaubsgesetz sieht hier kein Problem: Wird der Urlaub nicht genommen, verfällt er nach drei Monaten im Folgejahr. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jedoch etwas dagegen. Schon 2011 und 2018 entschied er, dass ein Verfall des Urlaubs nach drei Monaten grundsätzlich okay sei - aber nur unter einer Bedingung: In dem Jahr, um das es geht (sogenanntes Bezugsjahr), muss der Arbeitnehmer alle Möglichkeiten gehabt haben, den Urlaub zu nehmen.
Für den Arbeitgeber heißt das: Er muss aktiv darauf hinwirken, dass der Arbeitnehmer den Urlaub vollständig nimmt. Konkret muss er auf den Resturlaub hinweisen und dazu auffordern, den Urlaub zu nehmen. So sagte es 2019 das Bundesarbeitsgericht nach einer klaren Ansage vom EuGH. Tut der Arbeitgeber das nicht, kann der Urlaub ins Folgejahr übertragen werden.
Urlaubs-Regeln in Deutschland wurden nicht geändert
Arbeitnehmer begrüßen das: Diese Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers dienten dem Schutz des Arbeitnehmers, stellten sicher, dass der Urlaub auch wirklich genommen werde, so die Leiterin der Rechtsabteilung des DGB-Bundesverbandes Micha Klapp.
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Interessant ist, dass der Gesetzgeber in Deutschland sich nicht genötigt sah, die Regeln zu ändern. Denn von Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers steht im Bundesurlaubsgesetz kein Wort. Dort heißt es weiterhin pauschal: Nicht genommener Urlaub verfällt nach drei Monaten im Folgejahr.
Verjährung in diesem Fall kein Argument für EuGH
Daher überraschte es nicht, dass noch nicht alle Fragen geklärt waren. In einem neuerlichen Rechtsstreit ging es um Urlaub von vor über drei Jahren. Normalerweise verjähren Rechtsansprüche in Deutschland dann spätestens. Das dient dem Zweck, dass irgendwann Ruhe und Planungssicherheit herrscht.
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Doch den EuGH interessiert das wenig. Rechtssicherheit und Rechtsfrieden seien wichtig, dürften aber "nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis [beruft], den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben".
Unternehmen befürchten Personalmangel
Überrascht hat das Urteil Experten nicht. Denn hiermit geht der EuGH seinen schon 2011 eingeschlagenen Weg nur konsequent zu Ende: Jede Regel, die auch nur irgendwie erschwere, dass der Arbeitnehmer Urlaub nehme, sei ein Verstoß gegen EU-Recht. Eine Abwägung mit Arbeitgeberbelangen findet nicht statt.
Entsprechend verärgert reagieren daher Unternehmerverbände, sie fürchten Personalnot. Doch sie können sich vor anhäufenden Urlaubsanträgen leicht schützen: indem sie die Beschäftigten stets rechtzeitig auf Resturlaub hinweisen und auffordern, den Urlaub zu nehmen. Die heutige Entscheidung übt den nötigen Druck auf Arbeitgeber aus, genau das zu tun.
Max Kolter ist Rechtsreferendar in der Redaktion Recht und Justiz