Mehrfach schon hat Putin der Ukraine das sogenannte Existenzrecht abgesprochen. Dabei steht historisch und juristisch die Unabhängigkeit des Landes außer Frage.
Mit seiner Ansprache vom 21.02.2022 beging Wladimir Putin einen Tabubruch. Er sprach der Ukraine, dem Nachbarstaat, ab, überhaupt ein Staat zu sein. Es habe dort nie eine eigenstaatliche Tradition gegeben, so der russische Präsident. Das "Gebilde" Ukraine sei von den Bolschewiki im Zuge der Oktoberevolution von 1917 geschaffen worden und nie ein Staat im eigentlichen Sinne gewesen.
Eine mehr als fragwürdige Argumentation, die unterschlägt, dass Russland die Ukraine nach der Unabhängigkeit 1991 mehrfach sehr wohl als souveränen Staat anerkannt und entsprechende Verträge mit dem Nachbarn geschlossen hat. Die Fakten:
Grenzen der Ukraine sind Ergebnis der Neuordnung nach 1945
Ukraine - Grenzland, das bedeutet der Name des so heftig umkämpften Landes auf Deutsch. Grenzen waren dort nie eindeutig und verschoben sich über die Jahrhunderte mehrfach - wie in vielen anderen Ländern übrigens auch.
Lange waren die Ukrainer ein Volk ohne Staat. Meist waren sie aufgeteilt zwischen dem russischen Zarenreich und vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Polen-Litauen. Danach gehörte die Westukraine zur Habsburgischen Doppelmonarchie und nach dem 1. Weltkrieg wieder zu Polen.
Erst nach 1945 entstand im Zuge der Neuordnung Europas nach dem 2. Weltkrieg die Ukraine in ihren heutigen Grenzen. Die Westukraine um die Stadt Lviv/Lemberg gehörte also die meiste Zeit nicht zu Russland und viele dort sehen auch keine kulturellen Bindungen zum grossen Nachbarn im Osten.
Die Halbinsel Krim wurde 1954 der damaligen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik zugeschlagen - auf Betreiben des damaligen Staatschefs Nikita Chruschtschow, selbst Ukrainer.
Unabhängigkeit in den 1990er Jahren von Russland anerkannt
Im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion im Jahr 1991 erklärte sich auch die Ukraine für unabhängig. In einer Volksabstimmung am 1.12.1991 stimmten, bei einer Wahlbeteiligung von über 84 Prozent, 92,3 Prozent für die Unabhängigkeit. Eine überwältigende Mehrheit der Ukrainer war also für die Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit ihres Landes.
"ZDF-History" liefert die historischen Hintergründe der aktuellen Invasion durch russische Truppen.
Da das Land aus Sowjetzeiten noch Atomwaffen hatte, deren Kontrolle aber in Russland lag, war es nötig eine Lösung zu finden. Die gab es am 5.12.1994 mit dem Budapester Memorandum. Dort ist festgelegt, dass die Ukraine ihre Atomwaffen an Russland übergibt.
Im Gegenzug verpflichteten sich die Atommächte USA, Russland und Großbritannien "die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit der Ukraine weder durch Gewalt noch durch deren Androhung zu verletzen, keinen wirtschaftlichen Zwang auszuüben, auf jegliche militärische Besetzung zu verzichten und solche keinesfalls anzuerkennen."
Verträge zwischen der Ukraine und Russland ab 1999
Außerdem galt ab 1999 zwischen der Ukraine und Russland der Vertrag über Freundschaft, Kooperation und Partnerschaft. Dort verpflichteten sich beide in Artikel 2 die territoriale Integrität des anderen zu respektieren und versicherten sich gegenseitig der Unverletzbarkeit der existierenden Grenzen.
-
Der Vertrag galt immer für zehn Jahre, wurde 2009 erneuert und nach der Annexion der Krim durch Russland und den Krieg im Donbas von der Ukraine nicht wieder verlängert. Spätestens mit diesen beiden Verträgen hatte Russland die Souveränität der Ukraine völkerrechtlich bindend anerkannt.
Existenzrecht kennt keinen Zeitfaktor
Die Behauptung Wladimir Putins, die Ukraine sei ja gar kein richtiger Staat, weil es da keine lange staatliche Tradition gäbe, ist übrigens völkerrechtlich irrelevant. Die Ukraine wurde als souveräner Staat anerkannt und es ist egal, ob dieser Staat schon 500 oder nur 5 Jahre existiert - da macht das Völkerrecht keinen Unterschied.