Über 165.000 glückliche Menschen feierten am ersten großen Festivalwochenende nach der Zwangspause bei "Rock am Ring" und "Rock im Park". Alles gut also für die Festivalbranche?
"Die Konzert- und Festivalbranche ist sofort als verzichtbar eingestuft worden. Wir waren die ersten, die der Bann getroffen hat und wir werden die letzten sein, wenn die Verbote wieder aufgehoben werden". Das hatte Veranstalter-Urgestein Marek Lieberberg 2020 prophezeit. Dass die Festivals so stark zurückkehren würden, darauf hätte noch im Winter wohl niemand setzen wollen.
Doch der neue Veranstalter von "Rock am Ring" war sich schon vor Beginn sicher, dass dieses Festival legendär werden würde. "Mich beeindruckt vor allem die Fantreue", sagt Konzertmanager Matt Schwarz: Über 70 Prozent der Besucher:innen hätten ihre Tickets bereits für 2020 gekauft und erst für 2021, dann für 2022 behalten. Da war es ein Leichtes, einen Rekord anzupeilen: 90.000 Menschen, so viele Menschen waren noch nie bei "Rock am Ring".
Der Zuschauerrekord am Ring: ein Einzelfall?
Das gilt auch für kleine Festivals und andere Sparten als Rock: Die "Wilde Möhre" in Brandenburg hat sich einen Namen mit elektronischer Musik und radikaler Nachhaltigkeit gemacht. Die Festivalserie ist Wochen vor dem Start schon fast ausverkauft, mit mehr Besucher*innen denn je. Die Krise habe das Team sogar noch enger zusammenwachsen lassen, berichtet Veranstalter Alexander Dettke.
Nach der Pandemie ist das Personal knapp
Ist Corona für die Branche also ohne Folgen geblieben? "Wir sind froh, dass zumindest die Unternehmen durchgehalten haben", sagt Michow, doch die Coronahilfen hätten viele Menschen nicht erreicht:
"Rock am Ring" hat frühzeitig vorsorgen können und sich Fachkräfte für das Festival gesichert, so Matt Schwarz. Für die Besucher*innen war allerdings in bestimmten Bereichen wie zum Beispiel beim Getränkeverkauf die Personalknappheit deutlich zu spüren.
Die Branche wird sich nur langsam ganz erholen
Auch das "Maifeld Derby", ein Festival für Independent-Musik in Mannheim mit zuletzt 15.000 Besucher:innen, rechnet mit guten Zahlen. Auch wenn Techniker schwer zu bekommen sind, wird das Festival funktionieren, weil es als gemeinnützige Gesellschaft mit rund 200 Freiwilligen arbeitet.
Die Hauptsorgen verursacht tatsächlich die Materialknappheit: "Vor fünf Wochen sind mir meine Toiletten abgesagt worden", berichtet Veranstalter Timo Kumpf. In der jetzigen Situation 50 Toiletten zu verlieren und dafür Ersatz zu suchen, sei ein Kampf gewesen. Da kein Mietwagen mit Anhängerkupplung aufzutreiben war, nutzt er das Auto seiner Mutter. Und: Bestimmte Getränke wird es auf dem Festival in diesem Jahr nicht geben, weil die Flaschen in Russland hergestellt werden.
Sorgenvoller Blick in die Zukunft
Rares und teures Material, Preisanstiege, Materialverknappung: Coronafolgen und der Krieg in der Ukraine kommen diese Saison zusammen. Timo Kumpf macht sich Sorgen um die Zukunft:
"Aufgrund der Verknappung werden die Forderungen von Dienstleistern auf das Doppelt- und Dreifache steigen." Den Eindruck bestätigt Michow: "Die Erholung der Konzert- und Veranstaltungsbranche wird nicht annähernd so schnell erfolgen wie in anderen Wirtschaftszweigen". Erst 2024 werde man das Niveau von 2019 wieder erreichen können. "Allerdings nur, wenn Corona nicht zurückkehrt."