Fett-weg-Spritzen "keine Wunderwaffe"

    Vermeintliche Lifestyle-Arznei:Fett-weg-Spritze "keine Wunderwaffe"

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    In den sozialen Medien ein Hype: Spritzen, um abzunehmen. Experten warnen, derlei neue, verschreibungspflichtige Arzneien als Lifestyle-Medikament zu verwenden.

    Übergewicht
    Adipositas: Neue Medikamente sollen helfen - aber nur eingebettet in eine Gesamttherapie
    Quelle: Imago

    Bei manchen Menschen mit starkem Übergewicht bleibt die Mühe vergebens: Auch mit Ernährungsumstellung und Sport wollen die Pfunde nicht purzeln. In jüngster Zeit erregen neuartige verschreibungspflichtige Adipositas-Medikamente in sozialen Netzwerken Aufsehen, die man sich zusätzlich zur Lebensstiländerung selbst unter die Haut spritzt. Auch weil manche - eigentlich gesunde - Promis so mehr oder weniger abgespeckt haben wollen.
    "Meine Patienten fragen verstärkt danach", sagt der Hamburger Endokrinologe Stephan Petersenn, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Der Wirkstoff, um den es aktuell geht, heißt Semaglutid. In Europa ist er seit 2018 als Diabetes-Medikament ("Ozempic") zugelassen - etwa um den Blutzuckerspiegel zu senken.
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    Studie: Vergleichsweise hohe Effizienz

    Neuer, von Anfang 2022, ist eine Zulassung in der EU speziell mit dem Einsatzgebiet Gewichtsverlust und -kontrolle ("Wegovy"): Gedacht ist es für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30, also Adipositas. Und für Übergewichtige (BMI ab 27) mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung. "Wegovy" ist in Deutschland - hier gilt jeder vierte Erwachsene als adipös - bisher jedoch nicht erhältlich.
    Mit Blick auf bisherige Daten erwarten Fachleute von Semaglutid einen Nutzen für bestimmte Betroffene. In einer Studie verloren Patienten, die begleitend zu Lebensstiländerungen eine Dosis des Wirkstoffs pro Woche erhalten hatten, im Schnitt nach 68 Wochen fast 15 Prozent Gewicht. In einer Placebo-Vergleichsgruppe waren es zwei Prozent, heißt es im "New England Journal of Medicine".
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    Experte: "Lifestyle-Anwendung" nicht untersucht

    Experten sehen aber noch Hindernisse und Gefahren: So warnt die DGE vor Risiken und Nebenwirkungen und der "unkontrollierten Anwendung". Da "Wegovy" bisher nicht verfügbar ist, werde stattdessen das geringer dosierte "Ozempic" bei Übergewichtigen als Lifestyle-Medikament zum Abnehmen eingesetzt. Patienten müssten dann für den Effekt aber mehr Wirkstoff spritzen, sagt Petersenn - mit Kosten von 80 bis rund 200 Euro pro Woche. "Eines der Probleme dabei ist, dass eine Lifestyle-Anwendung nicht untersucht ist", so der DGE-Experte.

    Es ist unklar, ob ein übergewichtiger Patient, der aber nicht adipös ist, überhaupt Gewicht verliert.

    Stephan Petersenn, Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie

    Auch Nebenwirkungen wie Übelkeit und Durchfall seien möglich, erklärt der Fachmann. Generell solle die Anwendung eingebettet sein in eine Gesamt-Therapie mit Ernährung und Sport unter ärztlicher Überwachung.

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    Arznei wirkt nur solange, wie man sie einnimmt

    Selbst für Menschen, die unter die Zulassungskriterien fallen, bedeuten die Spritzen nicht automatisch dauerhaftes Normalgewicht. Das Medikament könne nur solange wirken, wie man es einnimmt, betont Petersenn.

    Es ist keine Wunderwaffe und ändert nichts an genetischen Faktoren oder dem Lebensstil.

    Stephan Petersenn, Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie

    Wer Adipositas habe, müsse also entweder eine Einnahme auf Jahre einkalkulieren - oder "erhebliche Disziplin" nach dem Absetzen aufbringen, um das Gewicht zu halten. Etwaige Effekte einer Langzeiteinnahme seien jedoch unerforscht. Für manche Betroffene könnten Medikamente aus Petersenns Sicht in Zukunft aber eine Magen-OP hinfällig machen.
    Die neuen Wirkstoffe könnten "zu Gamechangern in der Behandlung von Adipositas" werden, sagt Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft - "wenn der Gesetzgeber den Weg dafür freimacht". Denn: Die gesetzlichen Kassen übernehmen die Kosten nicht. Dass stark Übergewichtige ihre Behandlung aus eigener Tasche bezahlen sollen, wertet Aberle als "Ausdruck der allgegenwärtigen Stigmatisierung der Betroffenen".
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    Quelle: Gisela Gross, dpa

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