Wer als Mörder verurteilt ist, muss ins Gefängnis. Was aber, wenn das Verfahren zu lange dauert? Dann kann das einen nicht rechtskräftig Verurteilen in die Freiheit führen.
Wie kann es dazu kommen, dass ein verurteilter Mörder kurz nach seinem Prozess wieder in Freiheit ist? Diese Frage stellen sich viele nach dem Verfahren gegen einen 19-Jährigen vor dem Landgericht Frankenthal. Vor gut zwei Monaten wurde der Mann von dem Gericht zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt.
Er soll nach Überzeugung der Richter im März 2020 eine 17-Jährige an einem Weiher in Ludwigshafen vergewaltigt und erwürgt haben. Daneben wird ihm vorgeworfen, drei weitere Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Der Schuldspruch: Vergewaltigung mit Todesfolge und sexueller Kindesmissbrauch in drei Fällen.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung legen Revision ein
Ein eindeutiges Urteil also. Wo ist das Problem? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Denn gegen das Urteil des Landgerichts kann Revision eingelegt werden. Und genau das haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung des Angeklagten getan. Wird Revision eingelegt, prüft das nächsthöhere Gericht, ob die Richter möglicherweise Rechtsfehler bei der Urteilsfindung gemacht haben. Grundsätzlich also ein wichtiges Instrument des Rechtsstaates, um sicherzustellen, dass niemand zu Unrecht verurteilt wird.
Wenn Revision eingelegt wird, bedeutet das aber auch: Das Urteil ist bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts nicht rechtskräftig. Das heißt: Obwohl ein Urteil existiert, das die Schuld des mutmaßlichen Täters feststellt, ist er juristisch noch kein Mörder oder Sexualstraftäter. Und das bedeutet auch: Eine Haftstrafe im klassischen Sinne kommt zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Betracht. Das einzige Mittel, um den Angeklagten festzuhalten ist - wie im gesamten Verfahren - die Untersuchungshaft.
Untersuchungshaft ist keine Strafe
Und hier lauert die Crux des besagten Falls. Denn die Untersuchungshaft ist keine Strafe im eigentlichen Sinne, weil die Schuld formal noch gar nicht feststeht. Deshalb ist sie auch nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich. Vor allem aber darf sie nicht zu lange andauern. Denn dem berechtigten Bedürfnis des Staates an einer wirksamen Strafverfolgung steht immer das Interesse des Einzelnen an seiner persönlichen Freiheit gegenüber. Dieses Interesse ist durch Artikel 2 des Grundgesetzes sogar verfassungsrechtlich geschützt.
Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs. Soll die Untersuchungshaft weiter fortgesetzt werden, muss es einen umso wichtigeren Grund für die Fortsetzung geben. Vor allem, wenn sich das Verfahren in die Länge zieht und die Verzögerung nichts mit dem Angeklagten zu tun hat, sondern durch das Gericht selbst hervorgerufen wurde, kann es dazu kommen, dass der Angeklagte freigelassen werden muss.
Ist die Entlassung ein Skandal?
So ist es in dem Verfahren um den 19-jährigen mutmaßlichen Sexualstraftäter geschehen. Die Verteidigung argumentierte in ihrer Haftbeschwerde, dass in der mehr als 22 Monate dauernden Hauptverhandlung lediglich an 57 Tagen verhandelt worden sei. An 20 dieser Verhandlungstage hätten die Sitzungen weniger als zwei Stunden gedauert.
Das sei eine Verzögerung des Verfahrens gewesen, welche die Fortdauer der Untersuchungshaft unverhältnismäßig gemacht habe. Dieser Auffassung folgte auch das für die Haftbeschwerde zuständige Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken und ordnete die Freilassung des Mannes an.
Mahnung der Gerichte, Strafverfahren effizient zu organisieren
Für viele ist das unverständlich - denn es existiert ja ein Urteil, das die Schuld des Mannes feststellt. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Erwägungen wird aber klar: Es darf nicht zu Lasten eines mutmaßlichen Straftäters gehen, wenn ein Gericht nicht dazu in der Lage ist, in einem angemessenen zeitlichen Rahmen zu entscheiden.
Auch wenn die Entscheidung auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar erscheint, so ist sie daher vielmehr als Mahnung der Gerichte zu verstehen, das Strafverfahren effizient zu organisieren und damit derartige Situationen künftig zu vermeiden.