Kanada ist Gastland der Frankfurter Buchmesse. Im Interview mit "Kulturzeit" spricht Kanadas Literaturstar Margaret Atwood über das US-Abtreibungsgesetz und den Klimawandel.
Menschen in Rot mit Hüten als Scheuklappen demonstrieren weltweit für die Rechte von Frauen. Sie sehen aus wie die Mägde aus Margaret Atwoods Kultroman "Handmaid's Tale", auf Deutsch: "Der Report der Magd".
Gerade protestieren sie gegen das sogenannte Herzschlag-Gesetz in Texas. Es ist das strengste Abtreibungsgesetz in den USA. Die US-Regierung kämpft für die Aussetzung. Das Gesetz sieht vor, dass jeder, der bei der Planung oder Umsetzung einer Abtreibung hilft, angeklagt werden kann. Wer denunziert, wird belohnt.
Bei Schuldspruch bekommen die Klagenden die 10.000 Dollar, die die Verurteilten zahlen müssen.
"Du kannst jemanden ohne Beweise beschuldigen. Das Gesetz beinhaltet auch das 'Vorhaben einer Abtreibung'. Wie sollst du beweisen, dass du es nicht vorhattest? Oder gar nicht schwanger warst? Das ist schwierig. Außerdem appelliert das Gesetz an die Gier. Wenn Du wohlhabende Menschen ins Visier nimmst, bekommst du eher die 10.000 Dollar Belohnung. Auch ohne sie anzuzeigen. Das Gesetz ist ein perfektes Instrument für Bestechung und Erpressung", sagt Atwood.
Gesellschaftspolitische Fragen sind der Kern von Atwoods Schaffen. Ihre Werke sind vielfach ausgezeichnet, in mehr als 30 Sprachen übersetzt. 2021 haben Waldbrände Kanada in Atem gehalten. Die Klimakrise will sie ins Bewusstsein rufen - so wie die weltweite "Fridays for Future"-Bewegung heute.
Bezogen auf Kanada meint Atwood: "Wenn Du davon ausgehst, dass Du unendliche Ressourcen hast, dann gehst Du verschwenderischer mit ihnen um. Kanada exportiert vor allem Rohstoffe. Wo bekommst Du die her? Du baust oder holzt sie ab. Zum Beispiel Fisch. Der ist für Kanadier schon immer ein großes Thema. Früher wurden wir dafür verspottet so viel an Fisch zu denken, aber jetzt begreift die Welt langsam, wie kostbar Fisch ist. Und der Grund, warum Deutschland so scharf auf erneuerbare Energien ist? Sie haben kein Öl!"
Neues Buch von Atwood über kanadische Literaturgeschichte
Gerade ist erstmals "Survival" auf Deutsch erschienen - Atwoods "praktisches Handbuch" zur kanadischen Literaturgeschichte. Das Original stammt von 1972, als die Literatur Kanadas noch in den Kinderschuhen steckte.
"Wir haben 'Survival' im kleinen Verlag House of Anansi veröffentlicht, in dem ich auch Herausgeberin war. Wir haben versucht, experimentelle Romane und Gedichtbände herauszubringen. Aber damit verdient man bekanntlich kein Geld", sagt Atwood. "Deswegen haben wir auch Ratgeber veröffentlicht, zum Beispiel 'Jura für Dummies', wie man ein Testament verfasst, Scheidungen über die Bühne bringt, und einen Ratgeber über Geschlechtskrankheiten.
Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hat in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2017 erhalten.
"Survival" löste Begeisterung, aber auch Empörung aus. Witzig und prägnant, mit Mut zur Provokation erläutert Atwood, womit sich die kanadische Literatur beschäftigt hat.
"Weil weder Alice Munro noch Carol Shields auf der Bildfläche erschienen waren. In den späten 70ern gab es einen Aufschwung für Bücher von Schriftstellerinnen jeder Generation, die über ihr Leben schreiben. Sie wären vorher nicht veröffentlicht oder als Hausfrauenliteratur abgetan worden. Die Gesellschaft ändert sich, auch die Art wie wir Literatur lesen. So haben sich auch die Bücher verändert. Jetzt gibt es eine Fülle an Literatur, aus allen Richtungen", so Atwood.
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