ZDF frontal: Judenhass im Netz überfordert Behörden

    Eine Recherche von frontal:Judenhass im Netz: Behörden überfordert

    von Michael Haselrieder und Beate Frenkel
    23.06.2022 | 17:38
    |

    Hass gegen Juden, Anfeindungen, Übergriffe: Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland steigt. Vor allem über Soziale Medien hetzen Extremisten.

    Ohne Konsequenzen für die Täter21.06.2022 | 7:54 min
    Noam Petri ist 18 Jahre alt. Der Abiturient lebt in Frankfurt und ist Jude. Seitdem er sich gegen Antisemitismus einsetzt, erhält er immer wieder Hass-Nachrichten und wird auf Twitter beschimpft: "Ekelhafte dreckige Zionisten, kommt aus euren Löchern raus", schreibt ihm ein anonymer User. Solche Tweets bekomme er in letzter Zeit regelmäßig, sagt Noam Petri.

    Man merkt schon, dass sich das Klima in Deutschland verändert. Holocaust-Relativierung ist wieder im Trend. Heute werden wieder Sprüche gesagt, die vor zehn oder 20 Jahren nicht gesagt worden wären.

    Noam Petri, Student

    Die deutschen Sicherheitsbehörden sind alarmiert. 2021 ist die Zahl der antisemitischen Straftaten um 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen - auf einen neuen absoluten Höchststand.

    Feindbild für Ukraine-Krieg

    Auch Verschwörungserzählungen im Netz mit jüdischen Feindbildern nehmen zu - zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine. Juden werden beschuldigt, den Krieg begonnen zu haben, ihn zu manipulieren oder vom Krieg zu profitieren. Das propagieren zum Beispiel deutsche Rechtsextremisten auf Telegram.
    Warum bleibt Judenfeindlichkeit in der Gesellschaft verwurzelt und breitet sich immer wieder aus? Die Antisemitismusforschung untersucht die verschiedenen Erklärungsansätze. 27.01.2020 | 4:29 min
    Einer von ihnen nennt sich NWO-Hunter. NWO steht für Neue-Welt-Ordnung, hinter der angeblich die Juden stecken. Für NWO-Hunter ist die Ukraine der "13. Stamm Israels".

    Vielfältige Erscheinungsformen bis hin zu Holocaust-Leugnung

    Der Präsident des Verfassungsschutzes in Thüringen, Stephan Kramer, beobachtet, dass Antisemitismus von ganz unterschiedlichen Gruppen genutzt wird - von Rechtsextremisten, Linksextremisten, Islamisten und Corona-Leugnern:

    Antisemitismus ist im Grunde ein roter Faden, der sich Phänomen übergreifend in allen Bereichen findet. Jeder pickt sich den Antisemitismus als etwas raus, was immer verstanden wird. Und da kommen diese Verschwörungsfantasien gerade recht.

    Stephan Kramer, Verfassungsschutzpräsident Thüringen

    Was der NWO-Hunter auf Telegram postet, geht weit über Verschwörungstheorien hinaus. In einem Video sagt er, in Deutschland werde festgehalten "an diesem Holocaust, der nie stattgefunden hat an den Juden, sondern nur an den Deutschen."
    Holocaust-Leugnung ist in Deutschland eine Straftat. Doch im Fall "NWO-Hunter" gibt es dazu keine Ermittlungen, teilt die Staatsanwaltschaft Chemnitz auf Anfrage des ZDF-Magazins frontal mit: "Der von Ihnen geschilderte Sachverhalt ist hier nicht bekannt."

    Behörden greifen selten oder spät ein

    Warum stehen antisemitische Posts monatelang offen im Netz? Schlafen die Behörden? In einem Interview mit frontal sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), dass sie die Gangart gegenüber Telegram verschärft habe:

    Ich habe mir das zum Ziel gemacht, dass wir gegen Hass und Hetze im Netz gerade stärker vorgehen und auch konsequenter löschen.

    Nancy Faeser, Bundesinnenministerin

    Verfassungsschützer Stephan Kramer aber räumt offen Defizite der Behörden ein: "Das fängt beim Personal an, geht über die technischen Möglichkeiten bis hin zu den Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Das sind alles Dinge, wo wir erheblichen Nachholbedarf haben."

    Wir sind unterwegs mit einer Sicherheitsarchitektur aus den 70er-, 80er-Jahren für Herausforderungen, die im 22. Jahrhundert vor uns stehen.

    Stephan Kramer, Verfassungsschutzpräsident Thüringen

    Deutsche Sicherheitsbehörden bekommen die Hetze im Netz nicht in den Griff. Noam Petri muss weiter mit Hassbotschaften und Drohungen leben. Abfinden will er sich damit nicht.