Arabischer Bischt für Messi: Was hinter der Geste steckt

    Arabischer Bischt:Mantel für Messi: Was hinter der Geste steckt

    von Golineh Atai
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    Noch bevor er die WM-Trophäe in den Händen halten konnte, hüllte Katars Emir Tamim Superstar Lionel Messi in einen arabischen Umhang. Und löst so eine weitere Debatte aus.

    Argentiniens Lionel Messi, Emir von Katar Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani und FIFA-Präsident Gianni Infantino während der Trophäenzeremonie.
    Lionel Messi, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani und FIFA-Präsident Gianni Infantino während der Trophäenzeremonie.
    Quelle: Reuters

    "Scheich Messi führt Argentinien zum WM-Sieg in Doha", titelte Arab News, Saudi-Arabiens wichtigste englischsprachige Zeitung - darunter das Bild, wie Katars Emir Tamim bin Hamad Al-Thani ihm einen feingewebten, durchsichtig-schwarzen Mantel mit goldener Bordüre umhängt. "Scheich Messi" - ein bisschen klang mit dem Titel durch: "Messi war immer einer von uns - und ist es nun noch mehr".
    Als ob Katar vor dem Pokal noch einen der seinen demonstrativ ehren und adeln wollte - Lionel Messi, den Star seines eigenen, teuer erkauften Clubs Paris St Germain: "Katar feiert Katar" sozusagen.

    "Katarisierter" Moment des Sieges?

    Noch in der Nacht begann eine Kontroverse darüber, warum Katar den Moment, der eigentlich allein Argentinien und dem König des Fußballs gehörte, für sich nutzte, sich vordrängelte und den Sieger "katarisiert" - und warum diese Geste zumindest zu diesem Zeitpunkt fragwürdig war, und weniger kulturell denn politisch.

    Das Wort kommt aus dem Persischen und bedeutet: "auf den Rücken gelegt". Der Mantel aus Kamel- oder Lamagarn wird besonders in den Ländern des Persischen Golfs getragen - von Monarchen, hochrangigen Persönlichkeiten oder religiösen Würdenträgern, vor allem zu festlichen Anlässen wie Hochzeiten oder Feiertagen. Für die arabischen Gastgeber ist das Geschenk ein Teil ihrer Kultur, mit dem es besondere Gäste als "Edelmänner" ehrt. Touristen kaufen den "Bischt" auch gerne als Souvenir.

    Quelle: ZDF

    In der arabischen Welt löste das Umhängen des Mantels Bischt nicht nur Stolz, Rührung, Lob und Verständnis aus. Viele empfanden die Geste auch als äußerst cleveren Schachzug des Gastgebers, erneut für die arabische Kultur zu werben und sie global unvergesslich zu machen: Das teuerste, das wundervollste Foto in der Geschichte des Superstars Lionel Messi werde fortan mit einem arabischen Symbol, mit arabischer Kultur in Verbindung gebracht.
    "Und wenn in hundert Jahren jemand aus dem Westen kommt und fragt, was Messi da anhatte, dann wird man ihm von Katar erzählen", twitterten viele User.

    Araber reagieren auf Kritik aus dem Westen

    Doch da gibt es noch eine zweite Ebene in manchen dieser Botschaften. Sie lautet in etwa: Und wieder habe Katar es der Welt gezeigt, die Araber alle einen Kopf größer gemacht, und allen westlichen Angriffen standgehalten, dank seiner genialen Schachzüge.
    Solche arabischen Einschätzungen waren zum Teil auch eine Antwort auf die zuvor geäußerte westliche Kritik an der Geste. Westliche Sport-Kommentatoren und Journalisten kritisierten den Moment, als Messi den Umhang anziehen musste, der ihm von einem autokratischen Staatsoberhaupt geradezu übergestülpt worden sei, als "großen Payback-Moment" für die Milliarden, die Katar in diese WM investiert hatte.
    Manu Thiele
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    Viele fanden es fragwürdig, dass der Umhang bei der Pokalübergabe Messis Nationalabzeichen verdeckte.

    Schande, dass sie Messis Trikot verdeckt haben, während eines magischen Moments.

    Gary Lineker, BBC-Kommentator

    Der argentinische Co-Kommentator von Gary Lineker und ehemalige Nationalspieler Pablo Zabaleta fragte sich, warum dies überhaupt notwendig gewesen sei, er sehe absolut keinen Grund für diese Geste.

    Vorwurf von anti-arabischem Rassismus

    ESPN-Journalist Mark Ogden fühlte sich bei dem Mantel an einen Umhang aus dem Friseursalon erinnert, sein Kollege Dylan Walsh verglich die Robe mit durchsichtiger Reizwäsche - solche Worte nahmen arabische Kommentatoren prompt als Belege für eine "neue Welle des anti-arabischen Rassismus und des Eurozentrismus", der die diesjährige WM ohnehin ausgezeichnet habe.
    Im Vordergrund Nachbildung des FIFA WM-Pokals zwischen zwei Paar Schuhen. Im Hintergrund arabische Männer im Halbkreis sitzend.
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    Der Chef des WM-Organisationskomitees, Hassan al Thawadi, erklärte daraufhin, dies sei eben der Moment gewesen, Lionel Messi zu zelebrieren. Es sei nicht um Katar gegangen, es sei vielmehr um eine Feier der arabischen Region gegangen. Sofort stand mit diesen Worten die Frage im Raum, ob manche im Westen es nicht duldeten, wenn Araber ihre erste WM festlich feierten, mit eigenen Insignien.

    Kulturkampf - auch nach der WM

    Andere verglichen den Bischt mit dem japanischen Kimono und fragten sich, ob dieser in der westlichen Welt wohl genau so viel Abwehr und Entrüstung ausgelöst hätte.
    Eine "käufliche Willkür-WM" und "autokratische Heuchelei" hier, "islamophobe Klischees" und "anti-katarische Medienkampagnen" dort: Die gegenseitigen Anschuldigungen verstummten nicht - und der unterschwellige Kulturkampf, der die vergangenen vier Wochen des Turniers geprägt hatte, geht auch nach der Abschlussfeier weiter.
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