Flüchtlingshelfer bestellten Tausende nachhaltige Corona-Masken bei den Textilunternehmern Fynn Kliemann und Global Tactics. Sie fühlen sich über Produktionsbedingungen getäuscht.
Zu Beginn der Corona-Pandemie bestellten Hilfsorganisationen Zehntausende Schutzmasken bei der deutschen Textilfirma Global Tactics – in dem Glauben, dass es sich dabei ausschließlich um fair in Europa produzierte Ware handelte und der Hersteller mit dem Produkt keinen Gewinn machen wollte.
Sie verließen sich dabei auch auf die Aussagen des Künstlers und Modeunternehmers Fynn Kliemann, der in den sozialen Medien für die Masken warb. Seit das ZDF Magazin Royale aufgedeckt hat, dass der berechnete Kaufpreis teils deutlich über den Produktionskosten lag und ein Teil der Masken sogar in Asien produziert wurde, fühlen sich die betroffenen Organisationen hintergangen.
Sea Watch: Gewinne aus Maskenverkäufen sollen gespendet werden
"Uns ist mündlich zugesichert worden, dass es sich bei dem Kaufpreis von 93 Cent pro Maske lediglich um den Produktionspreis handelt", sagt Oliver Kulikowski, Sprecher von Sea Watch, ZDFheute. Sie hatten mehr als 20.000 der Masken auf griechischen Inseln verteilen lassen.
"Jetzt nennt [Global Tactics-Geschäftsführer] Tom Illbruck je nach Herkunftsland der Masken Produktionskosten zwischen 40 und 53,5 Cent", sagt Kulikowski. "Das ist ein klarer Bruch der Absprachen." Sea Watch fordert Illbruck und Kliemann nun auf, die Gewinne aus den Maskenverkäufen an Organisationen zu spenden, die sich etwa für bessere Arbeitsbedingungen in Produktionsländern einsetzen. Rechtliche Schritte behalte man sich vor.
Hilfsorganisationen für PR genutzt
Zusätzlich stößt Sea Watch-Vertretern auf, dass sie sich in die Social-Media-Kampagne von Global Tactics und Fynn Kliemann hatten einspannen lassen. Kliemann hatte immer wieder auf seine Masken-Spenden an Sea Watch und andere Organisationen verwiesen und so sein Image als Sozialunternehmer gestärkt.
Tracking-Label auf den von Global Tactics an Sea Watch gelieferten Kisten deuten darauf hin, dass zumindest jene Masken tatsächlich aus einer Produktion in Portugal stammen. Mehrere der Großkunden teilten ZDFheute mit, dass ihnen Gewissheit über die Herkunft ihrer Masken bislang fehle.
Super faire Coronamasken vom Allround-Talent. Made in Europe! Oder was sagt der Lieferschein?
Organisationen verunsichert über Herkunft der Masken
Auch Axel Grafmanns, geschäftsführender Vorstand der Flüchtlingshilfe Wir packen’s an, fühlt sich getäuscht:
"Das Versprechen von fairen Produktionsbedingungen war für uns als Organisation natürlich wichtig. Wir sind jetzt sehr verunsichert, woher die Masken nun letztendlich kamen und ob sie wirklich aus Europa geliefert wurden." In den Rechnungen habe es keine genauen Angaben zum Produktionsort gegeben. Die Masken seien von Global Tactics direkt auf die griechische Insel Chios geliefert worden.
Ihm sei ein Selbstkostenpreis in Höhe von 98 Cent von Global Tactics mündlich zugesichert worden, berichtet Grafmanns ZDFheute. "Es gab damals so gut wie keine Masken, wir waren froh, dass sich überhaupt jemand gemeldet hatte. Beim ZDF Magazin Royal Beitrag sind wir dann fast vom Stuhl gefallen. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass da so etwas dahintersteht."
Kunden beklagen teils Qualitätsprobleme bei Lieferungen
In einem inzwischen gelöschten Bestellformular auf der Global Tactics-Webseite wird Käufern explizit das Herkunftsland Portugal zugesagt. Als Karsten Ludwig von der Diakonie Krefeld und Viersen im April 2020 dort bestellte, wurde ihm auf Nachfrage nochmals schriftlich zugesichert: "Die Dinger sind handgemacht in Portugal, preislich tut sich also nicht viel."
"Wir haben mit Fynn die Produktionskapazitäten hochgefahren und wollen jetzt einfach schnell helfen. Wir sichern damit Jobs in Portugal und fragen uns, warum andere das nicht hinbekommen, was wir hier schaffen. Wir geben die Masken zum Selbstkostenpreis ab, deshalb kann man an dem Preis auch nichts mehr machen", fasst Ludwig die damaligen Aussagen von Global Tactics ihm gegenüber zusammen.
Ludwig äußert zudem die Vermutung, dass die an ihn gelieferten Masken aus unterschiedlichen Quellen kommen könnten. "Es hat einen Grund, warum wir noch 3.900 der Masken im Keller stehen haben. Immer wieder sind Bänder gerissen oder Mitarbeiter haben sich über die massiven Größen- und Qualitätsunterschiede beklagt."
Die CSU-Politiker Alfred Sauter und Georg Nüßlein stehen heute vor einem Untersuchungsausschuss des bayrischen Landtags – sie sollen im Jahr 2020 Geld für die Vermittlung von Masken-Geschäften bekommen haben.
Wie eng war Kliemann selbst in die Masken-Deals eingebunden?
Unklar ist bislang, wie eng Fynn Kliemann selbst in die unsauberen Masken-Deals eingebunden war. In mehreren Interviews seit Bekanntwerden der Vorwürfe sah Kliemann die Verantwortung vor allem bei seinem Kooperationspartner Global Tactics. Dort sei man mit Großkunden wie dem Modeversand About You Verträge eingegangen. Er habe nicht betrogen.
Mit Fynn Kliemann selbst hatte keine der von ZDFheute angefragten Organisationen direkten Kontakt in Sachen Masken. Bestellungen liefen unter anderem unter der Adresse maske@fynn-kliemann.de ein, der Domain von Kliemanns persönlicher Webseite – es antworteten Global Tactics-Mitarbeiter. In deren E-Mail-Signaturen wurde jedoch explizit auf Kliemann verwiesen. Dort war die Global Tactics Textilmanufaktur "in Kooperation mit Fynn Kliemann" als Absender genannt.
Seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Kliemann haben zahlreiche Werbepartner Kooperationen aufgekündigt. Eine Anfrage an Global Tactics wurde bis zum Erscheinen des Artikels nicht beantwortet.
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Bei Flügen und auf Flughäfen in der EU muss ab kommender Woche keine Maske mehr getragen werden. In Deutschland gilt aber weiterhin Maskenpflicht.