Junge qualifizierte Menschen werden auf dem deutschen Arbeitsmarkt dringend gebraucht. Doch viele schieben den Berufseinstieg nach hinten.
Schule, Ausbildung oder Studium: Junge Menschen können ihr Leben oft noch nicht selbst finanzieren. Die Mehrheit (51 Prozent) der 15- bis 24-Jährigen in Deutschland lebt auf Kosten ihrer Eltern oder anderer Angehöriger.
Nur 38 Prozent verdienten im vergangenen Jahr ihren Unterhalt überwiegend selbst und lebten von eigener Erwerbstätigkeit, wie das Statistische Bundesamt zum Tag der Jugend berichtet.
Vor 30 Jahren war das Verhältnis demnach genau umgekehrt: Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der jungen Altersgruppe lebte vom eigenen Erwerbseinkommen und 40 Prozent waren finanziell von Angehörigen abhängig.
Zum 1. August hat das neue Ausbildungsjahr begonnen. Es gibt immer mehr Ausbildungsplätze, gleichzeitig steigt aber auch die Zahl der Bewerber, die keine passende Stelle finden.
Berufswahl: Angst vor falschen Entscheidungen
Nach Ansicht von Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, liegt das auch an der veränderten Situation vieler Familien im Vergleich zu früher.
Viele Eltern aus der Mittelschicht könnten es sich auch leisten, dass ihre Kinder länger nach dem Passenden suchen. "Das fügt sich zusammen mit der Herausforderung, dass es so viele Möglichkeiten gibt, so dass man Angst hat, sich falsch zu entscheiden."
In Deutschland fehlt es an Bewerbern für Ausbildungsplätze. Deshalb lassen sich Unternehmen bei der Suche einiges einfallen – zum Beispiel günstige Wohnungen.
Mehr Zeit zur Berufsorientierung
Nach dem Abitur ein Lückenjahr, nach dem Realschulabschluss lieber noch weiter zur Schule gehen - Zeit, die junge Menschen zur Orientierung nutzen, die den Berufseinstieg aber nach hinten verschiebt.
"Wir haben mittlerweile auch ein höheres Alter, mit dem junge Menschen eine Ausbildung beginnen, über 20 Jahre", sagte Fitzenberger. "Ich befürchte, dass das mit der Corona-Krise noch mal steigt."
In der Pandemie hat sich die Art, wie wir arbeiten, erheblich verändert. Statt im Büro sind viele im Homeoffice ihrem Beruf nachgegangen. Wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft aus?
Spätestens seit der Pandemie sei die betriebliche Ausbildung in einer schweren Krise. Dabei spiele auch die Unsicherheit junger Menschen eine große Rolle. Viele wüssten zum Ende ihres Schulabschlusses noch nicht, in welche Richtung es beruflich gehen soll, so der IAB-Chef.
Fachkräftemangel weiterhin groß
Dabei werden junge, qualifizierte Menschen dringend gebraucht. Die Betriebe klagen über akuten Fachkräftemangel. Fast die Hälfte (49,7 Prozent) aller vom Münchner Ifo-Institut im Juli befragten Firmen gab an, dass sie durch einen Mangel an Fachkräften eingeschränkt werden. Das ist der höchste Wert seit Beginn der quartalsweisen Befragung im Jahr 2009.
Und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind derzeit überdurchschnittlich gut: Nur 6,9 Prozent der Erwerbspersonen zwischen 15 und 24 Jahren waren laut Statistischem Bundesamt 2021 ohne Job, während in der EU die Quote 16,6 Prozent betrug.
Stärkere Berufsorientierung in den Schulen
Fast ein Drittel der jungen Beschäftigten (29,2 Prozent) steckt aber in sogenannten atypischen Vertragsverhältnissen. Dazu zählen Teilzeit, befristete Stellen, Zeitarbeit oder geringfügige Beschäftigung. "Die Arbeitsbedingungen müssen attraktiver werden", fordert IAB-Chef Fitzenberger.
Zudem müssten Schülerinnen und Schüler früher angesprochen werden, etwa über eine stärkere Berufsorientierung in den Schulen oder über Pflichtpraktika.
Jeder zehnte junge Mensch (10,4 Prozent) bezog im vergangenen Jahr sein Haupteinkommen aus öffentlichen Leistungen. In dieser Gruppe finden sich auch viele, die weder in Ausbildung waren, noch im Job standen. Ihr Anteil ist in der Corona-Krise wieder auf 7,5 Prozent gestiegen - 2019 gab es ein Zehn-Jahres-Tief von 5,7 Prozent.
- Immer mehr junge Menschen ziehen früh aus
Keine Lust auf Hotel Mama: Immer mehr junge Menschen ziehen früh aus ihrem Elternhaus aus. Fast ein Drittel der 15- bis 24-Jährigen lebte im vergangenen Jahr nicht mehr zuhause.