Herzinfarkte werden bei Frauen schlecht erkannt, Depressionen bei Männern. Damit sich das ändert, werden Medizinstudierende an der Universität Bielefeld jetzt anders ausgebildet.
Dass Männer und Frauen unterschiedlich krank werden, wisse man schon seit langem, sagt Sabine Oertelt-Prigione. Sie ist die bundesweit erste Professorin für "Geschlechtersensible Medizin" und hält die Ausbildung angehender Medizinerinnen und Mediziner in diesem Bereich für längst überfällig.
So ist seit den 80er Jahren bekannt, dass Frauen bei einem Herzinfarkt oft nicht über die typischen Brustschmerzen klagen, sondern über Übelkeit oder Atemnot. Das führte zu verspäteten Diagnosen bis hin zum tödlichen Verlauf.
Frauen kommen bei Herzinfarkt später ins Krankenhaus als Männer
Inzwischen werden die verschiedenen Symptome zwar im Medizin-Studium standardmäßig gelehrt, aber noch immer werden Frauen bei einem Herzinfarkt später als Männer ins Krankenhaus gebracht.
Eine Depression hingegen wird bei Männern schwerer erkannt. Sie können dabei auch zu risikoreichem Verhalten neigen, nur wird Alkohol- oder Drogenkonsum weniger mit Depression in Verbindung gebracht als Antriebslosigkeit oder Traurigkeit.
Woran erkennt man seelische Krankheiten wie Depressionen? Ein Interview mit Prof. Dr. med. Christine Freitag
Fehlende systematische Untersuchungen zu Geschlechterunterschieden
Eine Krankheit, verschiedene Symptome: Geschlechtsspezifische Unterschiede sollen nun in Bielefeld den Studierenden systematisch vermittelt werden. Auf dem Lehrplan stehen Veranstaltungen wie "Ist Osteoporose eine geschlechtsspezifische Erkrankung?" Gängigerweise wird angenommen, dass die Krankheit Frauen nach den Wechseljahren trifft.
Es gebe aber keine systematischen Untersuchungen dazu, meist führe erst ein Knochenbruch zur Diagnose. Für Vorbeugung ist es dann zu spät.
Mehr Männer als Frauen in pharmazeutischen Studien
Auch bei der Medikamentierung gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Werden neue Arzneimittel entwickelt, müssen bei klinischen Prüfungen Unterschiede zwischen Frauen und Männern ermittelt werden - das ist seit 2004 in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben.
Aber noch sind in den meisten Studien weit mehr Männer als Frauen erfasst. Eine Herausforderung für die Pharmahersteller:
Fehlende Gleichberechtigung in der Medizin ist es ein großes Problem - das lebensgefährlich enden kann.
Insgesamt bemühe man sich aber um Geschlechtersensibilität. So berücksichtige man bei Studien über Brustkrebs auch Männer, denn neben 70.000 Frauen betreffe die Krankheit jährlich auch mehrere hundert Männer.
In Studien fehlt oft geschlechterspezifische Auswertung
Auch Professorin Oertelt-Prigione sieht Nachholbedarf bei Arzneimitteln: Es gebe zwar inzwischen mehr Frauen in den Studien, aber es fehle an geschlechtsspezifischer Auswertung: Wie wirkt ein Medikament bei Frauen, welche Nebenwirkungen hat es bei ihnen? Das gebe es noch nicht systematisch.
In Bielefeld lernen Medizin-Studierende jetzt, dass Ungleichbehandlung helfen kann. Und dass geschlechtersensible Medizin bestmögliche Versorgung von Frauen und Männern bedeutet.