Amsterdam: Damit Armut nicht krank macht

    Plan b: Gesundheit für alle :Amsterdam: Damit Armut nicht krank macht

    von Marijke Engel, Jana Kalms, Detlev Konnerth
    03.09.2022 | 18:26
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    Bewegung, gesundes Essen, genug Schlaf - die meisten wissen, was das Leben gesünder macht. Was aber, wenn die Umstände so sind, dass es sich kaum in den Alltag integrieren lässt?

    Ein Kunde bezahlt seinen Einkauf an einem Stand auf einem Wochenmarkt mit einem Fünf-Euro-Schein.
    Armut und schlechte Gesundheit hängen häufig zusammen. Ein Programm in Amsterdam möchte das ändern.
    Quelle: dpa

    Arbeitslosigkeit, Geldsorgen und schlechte Wohnverhältnisse sind Faktoren, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Kurz gesagt: Arme Menschen sterben früher.

    Programm in Amsterdam kämpft gegen Übergewicht

    Eine Studie des Robert Koch Instituts von 2019 belegt, dass 13 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer aus der niedrigsten Einkommensgruppe vor Vollendung des 65. Lebensjahres sterben. In der höchsten Einkommensgruppe sind
    dies 8 Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer.
    Städte und Gemeinden, die den Zusammenhang zwischen Armut und schlechter Gesundheit aufbrechen wollen, schauen seit einigen Jahren nach Amsterdam, wo ein vielversprechender Ansatz verfolgt wird: Als das "Amsterdam Healthy Weight Programme" 2012 im Stadtrat verabschiedet wurde, geschah das einstimmig. Die Stadträte und Stadträtinnen hatten das Übergewicht, insbesondere bei Kindern, als Epidemie eingestuft. Und sie waren entschlossen, dem Problem entsprechend zu begegnen.
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    Viele Kinder sind betroffen

    Ein Fünftel der Kinder in Amsterdam war übergewichtig oder gar fettleibig. Karen den Hertog, vom Amsterdamer Gesundheitsamt, die das Programm mit aus der Taufe gehoben hat, sagt:

    Wer schon in jungen Jahren mit Übergewicht kämpft, der läuft Gefahr, für den Rest seines Lebens gesundheitliche Probleme zu haben.

    Karen den Hertog

    Kinder mit Übergewicht bewegen sich weniger, entwickeln möglicherweise sogar Fehlbildungen des Skeletts und laufen Gefahr, Diabetes zu entwickeln. Hinzu kommt in vielen Fällen der soziale Stress durch Hänseln. Und neben dem ganz individuellen Leid, das das Übergewicht für jedes Kind mit sich bringt, wird auch das Gesundheitssystem stark belastet.

    Maßnahmen sollen alle Familien erreichen

    Um dieser "Epidemie" effizient zu begegnen, hat die Stadt einen sehr breiten Ansatz gewählt, der jede Familie in Amsterdam erreichen soll, insbesondere aber auch Familien mit niedrigem Einkommen, bei denen mehr übergewichtige Kinder leben.
    Als eine der Maßnahmen wird etwa das Gewicht jedes Schulkinds regelmäßig gemessen. Zusätzlich gibt es Tests zur Beweglichkeit. Dort, wo es angezeigt ist, werden der Familie Betreuer zugewiesen, die etwa Sportangebote vermitteln. In den Schulen und Kindergärten sind ungesundes Essen und Süßigkeiten streng verboten.

    Schulleiterin: Eltern fühlten sich zunächst bevormundet

    "Das hat anfangs auch schon einmal zu lauten Diskussionen geführt, weil Eltern sich bevormundet fühlten, aber letztendlich haben irgendwann alle mitgemacht", erzählt Gaby Etman, Direktorin der Grundschule "De Buikslotermeer", im armen Bezirk Amsterdam Noord.
    Gaby war Unternehmensberaterin, bevor sie selbst Kinder bekam, erst Lehrerin wurde und sich schließlich entschloss, eine Brennpunktschule zu leiten. Sie ist ein Fan des Amsterdam Healthy Weight Programmes.

    Dadurch, dass die ganze Stadt mitmacht, habe ich das Gefühl in meinen Bemühungen nicht allein zu sein.

    Gaby Etman, Grundschul-Direktorin

    Viele verschiedene Maßnahmen

    Und es gibt noch weitere Maßnahmen:
    • Ein Verbot der Mitnahme von Säften in Schulen und Investitionen in mehr Wasserbrunnen in der Stadt
    • Kochkurse, in denen gesunde Varianten von Gerichten gelehrt werden: Pizza mit Brokkoli, Spieße mit magerem Hähnchen statt Schweinefleisch, Honig und Datteln anstelle von Zucker
    • Die Stadt weigert sich, eine Veranstaltung zu sponsern, die von einem Fast-Food-Unternehmen mitfinanziert wird
    • Eltern werden ermutigt, kleine Kinder auf Fahrräder ohne Pedale zu setzen, anstatt sie in Buggys zu schieben
    • Konzentration auf die ersten 1.000 Tage im Leben eines Kindes, einschließlich Beratung für Schwangere und Mütter
    • Ermutigung von Familien, gemeinsam zu Abend zu essen
    • Bezuschussung von Mitgliedschaften und Aktivitäten in Sportzentren für einkommensschwache Familien
    • Es werden mehr Spielplätze geplant, die die Kinder mehr zur Bewegung herausfordern

    Erste Ergebnisse stimmen zuversichtlich

    Das Amsterdam Healty Weight Programme ist auf 20 Jahre angelegt. Bis 2033 soll jedes Kind Amsterdam gesund aufwachsen. Die ersten Ergebnisse der Anstrengungen sind vielversprechend. Die Quote der übergewichtigen Kinder in Amsterdam fiel von 20 Prozent über dem nationalen Durchschnitt auf nur noch fünf Prozent.
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