Frauen- und Kinderrechte: Trotz drohender Gewalt zum Vater

    Frauen- und Kinderrechte:Trotz drohender Gewalt zum Vater

    von Stephanie Schmidt
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    Nach einer Trennung können Kinder zum Umgang mit Vätern gezwungen werden. Teils sogar, wenn die gewalttätig sind. Der Kindeswille spielt oft keine Rolle - mit dramatischen Folgen.

    Gewalt gegen Frauen und Kinder
    Warum Frauen und Kinder noch immer nicht gut genug geschützt sind. 08.03.2023 | 12:34 min
    "Es gibt eine Zeit vor und eine Zeit nach der Inobhutnahme", sagt Max, der mittlerweile 21 Jahre ist und nur mit seinem Vornamen genannt werden möchte. Mit elf Jahren ist er zusammen mit seinen drei Geschwistern ins Heim gekommen - für zehn lange Monate.

    Man kann schon sagen, dass wir seitdem geschädigt sind. Wir haben das Vertrauen in den Staat verloren.

    Max, 21 Jahre

    Dem Konflikt vorangegangen war ein Sorgerechtsstreit: Es hatte Auseinandersetzungen in der Familie gegeben, die Mutter trennte sich. Die Kinder verweigerten den Umgang mit dem Vater. "Ich wurde immer wieder vom Jugendamt gedrängt, dass ich für den Umgang mit dem Vater zu sorgen habe, da es mir sonst nachteilig ausgelegt werden kann", erinnert sich seine Mutter Andrea K.

    Doch die Kinder hatten Angst und ich wollte sie nicht immer zwingen.

    Andrea K., Mutter von Max

    "Ich wollte meinen Vater einfach nicht mehr sehen. Und je mehr Druck vom Jugendamt gemacht wurde, umso schlimmer war es", sagt Max.

    Kinder zunehmend schutzlos und traumatisiert

    Die Soziologin und Autorin Christina Mundlos kennt das Dilemma vieler Mütter, die nach einer Trennung die Aufgabe haben, den Kontakt mit dem Vater zu regeln: "Gerade nach Vorfällen von häuslicher Gewalt vermeiden die Kinder den Umgang mit dem Vater. Sie haben Angst oder sind traumatisiert."

    Egal, was die Mutter nun macht - es wird ihr nachteilig ausgelegt.

    Christina Mundlos, Soziologin

    Mundlos berät Frauen in Trennungssituationen und berichtet davon, dass es immer öfter Fälle gäbe, bei denen Gewalt vom Vater der Kinder ausgehe und die Mütter weder sich noch ihre Kinder davor schützen könnten - weil das Familienrechtssystem es unmöglich mache.
    Gewaltschutz von Frauen und Kindern
    Soziologin Christina Mundlos im Gespräch über Trennungsverfahren08.03.2023 | 13:36 min

    Mütter erleben oft Täter-Opfer-Umkehr vor Gericht

    Auch die Deutsche Kinderhilfe e.V blickt derzeit kritisch auf viele familiengerichtliche Verfahren. Der Vorstandsvorsitzende Rainer Becker, fordert "bei Trennungskonflikten, bei denen Gewalt im Vorfeld stattfand, den Ausschluss des Umgangs mit dem gewaltausübenden Elternteil in Betracht zu ziehen".
    Das Wohl des Kindes muss im Mittelpunkt stehen, so Becker, der selber lange Zeit Polizeidirektor in Mecklenburg-Vorpommern war. Vor Gericht erleben Mütter oft eine Täter-Opfer-Umkehr, so Christina Mundlos: "Das heißt, dass die Schilderungen der Kinder, die Polizeiberichte über die Gewalt etc. nicht ernst genommen werden."

    Am Ende heißt es dann im Gerichtssaal, die Mutter sei schuld an der Angst des Kindes und die Lösung sei, das Kind zum Vater-Kontakt zu zwingen und schlimmstenfalls sogar den Kontakt der Mutter zum Kind zu verbieten.

    Christina Mundlos, Soziologin





    Sorgerecht verloren wegen "Bindungsintoleranz"

    Das Umgangsrecht hebelt so den Gewaltschutz der Frauen und Kinder aus, und Kinder werden zum Umgang gezwungen.

    Wir hinterlassen damit eine rechtspolitische Trümmerlandschaft. So erziehe ich Menschen, die nicht mehr wählen und nicht mehr an unser System glauben.

    Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender Deutsche Kinderhilfe e.V.

    Ähnlich erging es auch Andrea K. Als die Kinder die Umgänge immer mehr verweigern, beantragt ihr Mann das alleinige Sorgerecht. Ein Familiengutachten wird beauftragt - mit fatalen Folgen.

    Schatten sollen symbolisieren, wie sich ein Kind gegen Gewalt eines Erwachsenen wehrt. (Symbolbild)
    Quelle: dpa/Maurizio Gambarini

    Welche Gefahren Kindern durch Trennungssituationen drohen können, belegt ein Blick auf aktuelle Zahlen. Im Jahr 2021
    • starben 145 Kinder durch Gewalt, 118 von ihnen waren unter sechs Jahre alt.
    • gab es rund 143.604 Fälle häuslicher Gewalt in Deutschland, bei denen 108 Frauen und 12 Männer gewaltsam zu Tode kamen. Rund ein Drittel der Taten erfolgt nach einer Trennung.
    • gehören mindestens in jedem zweiten Fall häuslicher Gewalt Kinder zum Haushalt, die die Gewalt miterleben mussten.

    Untersuchungen zufolge starb mindestens jedes vierte Kind, das durch Gewalt zu Tode kam, in Zusammenhang mit einer Trennung der Erziehungspersonen bzw. einem Streit um das Sorge- oder Umgangsrecht.

    Quelle: KFN-Forschungsbericht

    "Uns wurde eine Mutter-Kind-Symbiose vorgeworfen; man hat behauptet, ich sei bindungsintolerant, würde die Kinder vom Vater entfremden und wäre sehr wahrscheinlich psychisch krank; Verdacht Borderline", erinnert sich Andrea K.

    Es war ein Albtraum, ich habe zwei Gegengutachten eingereicht, die vor Gericht nicht anerkannt wurden.

    Andrea K., Mutter von Max

    Erzwungener Umgang ein Albtraum für die Betroffenen

    Nach zehn Monaten Kampf weigern sich die Kinder bei einem begleiteten Umgang zurück ins Heim zu gehen. Max, der Älteste, hatte zuvor mit Suizid gedroht. Das Jugendamt gibt nach, und nach weiteren 17 Monaten bekommt Andrea K. das Sorgerecht zurück.
    Erst 2018 erhält sie in einem anderen zivilrechtlichen Verfahren die Gewissheit, dass das damalige Gutachten mangelhaft war und die Inobhutnahme der Kinder somit nicht zulässig. Die Familie hat nun eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
    Für Max und seine Geschwister hört der Albtraum von damals niemals auf. "Egal wo wir hinkommen, es heißt immer noch: Guck mal, da sind die Heimkinder." Er hätte sich gewünscht, dass jemand ihm und seiner Schwester früher zugehört und gefragt hätte.

    Und wenn ich heute mitbekomme, wie viele Kinder immer noch das Gleiche erleben, dann macht mich das wirklich wütend.

    Max, 21 Jahre

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