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Ein Jahr nach dem Terroranschlag : Hanau ist überall

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Ein Jahr nach Hanau steht fest: Die Gesellschaft gesteht sich ihren eigenen Rassismus nicht ein. Ein Gastkommentar von Politikwissenschaftler Ozan Zakariya Keskinkılıç.

Archiv: Ein Junge und ein Mann spielen Fußball in der Nähe eines neuen Graffitis unter einer Brücke und zeigen die neun Opfer der Hanau-Schießerei in Frankfurt am Samstag, den 20. Juni 2020.
Auf eine lückenlose Aufklärung warten die Angehörigen und Überlebenden des Terroranschlags von Hanau vom 19. Februar 2020 vergeblich.
Quelle: picture alliance/AP/Michael Probst

Hätten die rassistischen Morde an Mercedes Kierpacz, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu und Vili Viorel Păun am 19. Februar 2020 in Hanau verhindert werden können?

Mit dieser Frage richteten sich die Angehörigen, Überlebenden und die Initiative 19. Februar vor wenigen Tagen mit einer eigenen Anklage an eine Öffentlichkeit, die nicht begreifen will, dass Hanau das Symptom einer zutiefst rassistischen Gesellschaft ist. Sie berichten von einer langen Kette an behördlichem Versagen und kritisieren die Unwilligkeit und Unfähigkeit der Ermittler*innen, die Tat in all ihren Details schonungslos und lückenlos aufzuklären und endlich Verantwortung zu übernehmen.

Warum wurde dem Täter die Waffenbesitzkarte nicht entzogen, obwohl Ermittlungs- und Strafverfahren liefen, in denen er bereits mit Verschwörungsideologien auf sich aufmerksam machte? Weshalb waren die Notausgänge der Arena-Bar in der Tatnacht verschlossen, sodass eine Flucht unmöglich wurde?

Hoyerswerda. Rostock-Lichtenhagen. Mölln. Solingen. Halle. Und Hanau.

Wie kann es sein, dass der polizeiliche Notruf trotz mehrfacher Versuche durch Vili Viorel Păun, der den Täter in seinem Auto verfolgte und später erschossen wurde, nicht erreichbar war? Und was hat es mit den Obduktionen der Ermordeten auf sich, bei denen etwa der Leichnam von Hamza Kurtović als "südländisch, orientalisch" klassifiziert wurde?

Wieder haben die Behörden versagt, wieder wurden die Familien im Stich gelassen, wieder wird keine politische Verantwortung übernommen. Wieder wurden Menschen ermordet. Nicht wegen ihres Aussehens, nicht wegen ihrer Kultur, Religion oder Herkunft, sondern wegen Rassismus.

Der hat Tradition, genauso wie das Leugnen und Kleinreden rechter Gewalt und das Versagen der Behörden. Hanau war kein Einzelfall. Ihm gingen Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen, der NSU-Komplex und Halle voraus. Hanau ist überall, auch ein Jahr später.

Rassismus: die Mutter, der Vater und die Großeltern aller Probleme

Es ist ein großer Irrtum anzunehmen, Hanau wäre ein Problem des rechten Randes und hätte nichts mit der übrigen Gesellschaft zu tun. Im politischen Diskurs wird Migration als "Mutter aller Probleme" (Seehofer, CSU) bezeichnet und die "Entsorgung" einer nicht-weißen Abgeordneten "in Anatolien" ersehnt (Gauland, AfD). In der medialen Berichterstattung wird mit Bildern der Unterwanderung operiert und "der" Islam zum Sündenbock für das gesellschaftliche Übel gemacht.

Weiterhin werden über die Köpfe migrantisierter Menschen hinweg populistische Talkshows im Öffentlich-Rechtlichen geführt, und rassistische Bezeichnungen für Schwarze Menschen, für Sinti und Roma als Meinungsfreiheit oder gar als Kulturgut verteidigt. Wieder und wieder werden geschmacklose und gefährliche Werbe-Kampagnen wie die der CDU geführt, die nun in einem Werbespot über den Kampf gegen Geldwäsche und "kriminelle Clans" rassistische Stereotype schürt und das nur wenige Tage vor dem Jahrestag von Hanau.

Dann verwundert es kaum, wenn sich die sprachliche Entwertung in körperliche Gewalt materialisiert. Es ist immer nur eine Frage der Zeit, bis das, was über nicht-weiße Menschen sagbar ist, auch machbar wird.

Beim Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 ermordete Tobias R. neun Menschen mit Migrationshintergrund. Ihre Angehörigen kommen nicht zur Ruhe. Ungeklärt ist zum Beispiel weiterhin, warum der Notausgang in einer Shisha-Bar verschlossen war.

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Man kann rassistisch sein, ohne es zu wollen

Rassismus wird aber immer wieder geleugnet und bagatellisiert. Er widerspricht dem idealisierten Selbstbild einer Gesellschaft, die von sich behauptet, aus den Lehren der Vergangenheit gelernt zu haben. Das Motto lautet, was nicht sein darf, kann nicht sein. Dieser Irrglaube führt zu einer merkwürdigen Situation: Racial Profiling durch die Polizei, rassistische Berichterstattung in den Medien, rassistische Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, in der Schule, auf offener Straße - aber niemand wollte rassistisch sein.

Rassistisch sein zu wollen, ist nicht Voraussetzung, um rassistisch zu denken und zu handeln. Rassismus ist ein gesellschaftliches Machtverhältnis, das die Privilegien der "Eigengruppe" sichert und die Diskriminierung "der Anderen" rechtfertigt. Rassismus ist kein Widerspruch zu Moderne und Aufklärung. Im Gegenteil, er ist dessen Produkt, historisch gewachsen und sozial tradiert.

Rassismus soll die Welt erklären, wer uneingeschränkte Mobilität genießen darf und wer nicht, wer Zugang zu Rechten und Ressourcen hat und wer nicht, wer in Sicherheit leben kann und wer nicht. Weißsein gilt als ultimative Norm, "der Rest" soll der "Leitkultur" folgen oder verschwinden.

Es ist der erste Jahrestag des rassistischen Anschlags von Hanau. Am 19. Februar 2020 erschießt ein Rechtsterrorist neun Menschen - nur, weil sie keine deutschen Wurzeln hatten.

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"Die Anderen" damit alleine zu lassen, ist auch Rassismus

Entschuldigungen und Beileidsbekundungen reichen nicht, genauso wenig wie medienwirksame Reden darüber, dass Hass keinen Platz in Deutschland hätte. Was nützen Versprechen, wenn keine Veränderungen initiiert und kein Schutz gewährleistet werden? Wie soll das Vertrauen in den Staat wiederhergestellt werden, wenn noch immer die Stimmen nicht-weißer Menschen überhört und ihre Interessen übergangen werden?

Rechte Gewalt und Rassismus sind nicht das Problem "der Anderen". Sie damit alleine zu lassen und ihrer Zeit, Lebensfreude und Kraft zu berauben, ist auch Teil von Rassismus. Damit so etwas wie in Hanau wirklich nicht wieder passiert, braucht es eine lückenlose Aufklärung, politische Konsequenzen und eine Gesellschaft, die das Problem als das unser aller annimmt.

Schwere Ausschreitungen rechtsradikaler Jugendlicher gab es vom 22. bis 27.08.1992 vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock.

Anschläge, Morde, Hetzjagden - Rechte Gewalt in Deutschland - eine Chronik 

Hanau, Rostock-Lichtenhagen, der Mord an Walter Lübcke: Immer wieder werden Menschen in Deutschland Opfer rechtsextremer Gewalt. Eine Chronik des braunen Terrors.

von Kevin Schubert
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