Zwei Jahre ist es her, dass ein rassistischer Terrorist in Hanau neun Menschen tötete. Viele Angehörige sagen, sie hätten kaum Zeit zum Trauern, denn zu viele Fragen seien offen.
Am Abend des 19. Februar 2020 erschoss ein 43-Jähriger in Hanau neun junge Menschen aus rassistischen Motiven. Bundesweit wurde heute in vielen Städten der Opfer gedacht.
Zum zweiten Jahrestag wird viel Politprominenz in Hanau erwartet. Auf dem Friedhof der Stadt, wo drei der neun Opfer begraben liegen, fand bereits am Vormittag eine Gedenkfeier mit rund 200 Gästen statt, darunter Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier.
Am Nachmittag findet auf dem Hanauer Marktplatz eine große Demonstration statt. Außerdem wird es viele Gedenkveranstaltungen und Mahnwachen bundesweit geben.
Dank für große Solidarität mit den Opfern
Diese Solidarität, sagt Said Etris Hashemi, sei für die Angehörigen wichtig und verdiene Anerkennung und Respekt. Der 25-Jährige hat durch den terroristischen Anschlag seinen Bruder Said Nesar verloren.
Nach zwei Jahren, in denen sie so schwierige und traurige Momente erlebt hätten, habe er auch festgestellt, dass Hanau der erste Anschlag in Deutschland gewesen sei, bei dem die Opfer im Mittelpunkt stünden. Nicht der Täter.
Für die große Solidarität bedankt er sich, auch im Namen seiner Familie. Doch auch Said Etris kämpft um Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen. Wie viele Angehörige, unterstützt von der Initiative 19. Februar.
Viele Hinterbliebene haben nach den Morden an neun Menschen durch einen wohl an Schizophrenie leidenden Rassisten offene Fragen: Weshalb konnte der Täter legal Waffen besitzen, warum kamen Notrufe nicht an? Ein Untersuchungsausschuss soll aufklären.
Verschlossener Notausgang war tödliche Falle
Said hat vor kurzem im Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag ausgesagt - auch zum Thema des verschlossenen Notausgangs am zweiten Tatort, der Arena Bar in Hanau-Kesselstadt. Sein Bruder Said Nesar, glaubt Etris, hätte überleben können, wenn der Notausgang nicht verschlossen gewesen wäre.
Armin Kurtović ist zu "100% überzeugt", sagt er, "dass die Jungs, auch sein Sohn Hamza, über den Notausgang geflohen wären, doch sie alle hätten gewusst, dass er verschlossen war. Wer ist dafür verantwortlich?"
Staatsanwalt hat Ermittlungen zum Notausgang eingestellt
Armin Kurtović berichtet immer wieder von mehreren Zeugen, die bei der Polizei ausgesagt haben, dass der Notausgang seit langem zu war und dass das ein Deal des Barbesitzers mit der Polizei gewesen sein soll, um Razzien zu erleichtern.
Die Polizei bestreitet das, und die Staatsanwaltschaft Hanau hat die Ermittlungen eingestellt. U.a. mit der Begründung, dass selbst bei einem geöffneten Notausgang die Menschen wohl nicht hätten fliehen können. Zu einem anderen Schluss kommt das Recherchekollektiv Forensic Architecture.
Das Kollektiv hat die Aufnahmen der Überwachungskameras in der Arena-Bar ausgewertet und das Geschehen rekonstruiert. Das Ergebnis:
Anfang 2020 tötete Tobias R. aus rassistischen Motiven in Hanau neun Menschen, sowie sich und seine Mutter. Nun sprechen zwei Angehörige der Opfer vor dem Untersuchungsausschuss.
Păun: "Wir brauchen Konsequenzen"
Das Misstrauen vieler Angehörigen zu Justiz und Polizei ist in diesen zwei Jahren immer mehr gewachsen. Auch Iulia und Niculescu Păun können nicht verstehen, dass die Staatsanwaltschaft Hanau die Ermittlungen zum polizeilichen Notruf eingestellt hat. Ihr Sohn Vili hatte den Täter verfolgt und mehrfach versucht die Polizei zu erreichen. Er wurde schließlich von Tobias R. erschossen.
"Aber wo sind die Konsequenzen? Wir brauchen Konsequenzen", fügt Niculescu Păun hinzu. Vili Păun hat im letzten Jahr posthum die hessische Medaille für Zivilcourage bekommen und in Hanau seine eigene Gedenkstätte.
Mit Bildungsinitiative gegen Rassismus kämpfen
Iulia und Niculescu kommen alle zwei Tage dorthin, zum Kurt-Schuhmacher-Platz in Kesselstadt, wo der Terrorist Vili in seinem Auto erschoss. Vili war ihr einziges Kind, und Iulia und Niculescu sind bis heute tieftraurig.
In ihrer Heimat Rumänien wurde eine Straße nach Vili benannt, und Niculescu erzählt, dass er mit Freunden entlang der Straße 22 Bäume gepflanzt habe. 22 - so jung war Vili, als er ermordet wurde.
Nur ein Jahr älter war Ferhat Unvar. Seine Mutter Serpil Unvar hat in seinem Namen im letzten Jahr eine Bildungsinitiative gegründet. Sie will damit gegen Rassismus kämpfen, vor allem an den Schulen. Ferhat habe Rassismus vor allem durch Lehrer erlebt", sagt Serpil, dagegen vorzugehen, das sei sie ihrem geliebten Sohn schuldig.
- Rassismus
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