Hatespeech durch Hitze: Temperaturen beeinflussen Verhalten

    Mehr Hatespeech durch Hitze:Klimawandel heizt Stimmung im Netz an

    von Inga Rabe
    09.09.2022 | 08:34
    |

    Springt das Thermometer über 30 Grad, fallen im Netz offenbar jegliche Hemmungen. Laut einer Studie wird mit jedem Grad mehr auch mehr geschimpft und gepöbelt, was das Zeug hält.

    Sonne
    Hitze heizt Hatespeech an
    Quelle: picture alliance / | Jürgen Schwenkenbecher

    Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat analysiert, welche Auswirkungen die klimatischen Veränderungen auf das Verhalten im Netz haben. Die Forschenden glichen für ihre Studie mehr als vier Milliarden Tweets von US-Nutzern mit Wetterdaten ab.
    "Dabei haben wir festgestellt, dass sowohl die absolute Zahl als auch der Anteil der Hass-Tweets außerhalb einer Klimakomfortzone steigt: Menschen neigen zu aggressiverem Online-Verhalten, wenn es draußen entweder zu kalt oder zu heiß ist", erklärt PIK-Wissenschaftlerin Annika Stechemesser.

    Bitte rein - in die Klimakomfortzone

    Mit Klimakomfortzone ist der Wohlfühlbereich der Temperatur gemeint. Er liegt zwischen 12 und 21 Grad Celsius. Ist es kälter oder wärmer, steigt das aggressive Online-Verhalten deutlich an. Dann nimmt die Anzahl von Hassrede und die Wortgewalt deutlich zu. Und zwar egal in welcher Klimazone, welcher Einkommens- oder Glaubensgruppe.
    "Unsere Untersuchung zeigt, dass in den USA außerhalb eines Wohlfühlfensters von 12 bis 21 Grad Celsius der Online-Hass bei kälteren Temperaturen um bis zu 12 Prozent und bei wärmeren Temperaturen um bis zu 22 Prozent zunimmt", so Stechemesser Die wenigsten Hass-Tweets gibt es bei 15 bis 18 Grad Celsius.
    Beleidigung, Verleumdung, Hass – so kann es im Netz nicht weitergehen. Wie aber den Hass bekämpfen? Wo hört die Meinungsfreiheit auf? Und wo fängt Zensur an?14.03.2020 | 37:12 min

    75 Millionen Hatespeech-Tweets analysiert

    Um zu diesen Ergebnissen zu gelangen, verwendeten die Forschenden einen Ansatz des maschinellen Lernens. In mehr als vier Milliarden Tweets, die zwischen 2014 und 2020 in den USA auf Twitter gepostet wurden, identifizierte eine Künstliche Intelligenz (KI) circa 75 Millionen englischsprachige Hass-Tweets. Im nächsten Schritt analysierten die Forschenden, wie sich die Anzahl der Hass-Tweets änderte, wenn die lokalen Temperaturen zu- oder abnahmen.
    Bei der Definition von Hassrede orientierten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der offiziellen UN-Definition von Hassrede: Fälle von diskriminierender Sprache mit Bezug auf eine Person oder eine Gruppe aufgrund ihrer Religion, ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität, Rasse, Hautfarbe, Abstammung, ihres Geschlechts oder anderer Identitätsfaktoren.

    Temperaturen haben Auswirkungen auf das Miteinander

    Laut Anders Levermann, Leiter der Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut, zeigt die Studie klar die Grenzen der menschlichen Anpassungsfähigkeit an extreme Temperaturen.

    Wir beobachten eine Zunahme von Aggression an extrem heißen Tagen - ab 30 Grad geht es steil nach oben. Mit anderen Worten: Es gibt eine Grenze dessen, was Menschen ertragen können.

    Anders Levermann, PIK

    Klimawandel kann sich auf psychische Gesundheit auswirken

    Das Ergebnis werfe ein Licht auf eine bisher unterschätzte gesellschaftliche Auswirkung des Klimawandels: Konflikte in der digitalen Welt, die sich sowohl auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt als auch auf die psychische Gesundheit der Einzelnen auswirken.
    "Wenn man von Online-Hassrede betroffen ist, kann das eine ernsthafte Bedrohung für die eigene psychische Gesundheit sein. Aus der psychologischen Fachliteratur wissen wir, dass Online-Hass vor allem bei jungen Menschen und Angehörigen von Minderheiten zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit führen kann", ergänzt Annika Stechemesser.
    Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist die Frage nach den gesellschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen wichtiger denn je, findet Leonie Wenz, die Leiterin der Studie: "Das bedeutet also, dass eine sehr schnelle und drastische Senkung der Emissionen nicht nur der Außenwelt zugutekommen wird", so Wenz.

    Der Schutz unseres Klimas vor einer zu starken Erwärmung ist auch für unsere psychische Gesundheit entscheidend.

    Leonie Wenz, Leiterin der Studie

    Inga Rabe ist Redakteurin in der ZDF-Umweltredaktion.