Impfgegner haben lange versucht, das Masernschutzgesetz zu verhindern. Jetzt ist es da - und einige umgehen es einfach. Mit der Hilfe von Ärzten, wie eine ZDF-Recherche zeigt.
Wie die Impfpflicht boykottiert wird.
Seit März gilt das Masernschutzgesetz. Es sieht vor, dass Kindergarten- und Schulkinder nachweisen müssen, dass sie gegen Masern geimpft sind. Wer keinen Impfnachweis vorzeigen kann, darf in der Regel nicht aufgenommen oder eingeschult werden. Doch Impfgegner haben einen Weg gefunden, die Regelung zu umgehen. Wie eine gemeinsame Recherche von ZDFheute und Frontal 21 zeigt, werden sie dabei tatkräftig von Ärzten unterstützt, um ungeimpfte Kinder in Kitas und Schulen zu bringen.
Impfgegner gibt es überall, auch unter Ärzten
Ärzte müssen über Nutzen und Risiken einer Impfung aufklären. Sie sollen sich dabei an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission orientieren und nach dem "aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft aufklären", erklärt Dr. Heidrun Gitter aus dem Vorstand der Bundesärztekammer. Tue ein Arzt das nicht, könne das ein "Verstoß gegen die ärztliche Berufsordnung" sein.
Doch nicht alle Ärzte halten sich an die Vorgabe: "Impfen nützt nicht, Impfen schützt nicht, Impfen schadet", so steht es beispielsweise auf der Internetseite eines Mediziners aus Bayern. Ein Arzt aus Hessen geht einen Schritt weiter: Er bietet auf seiner Website ein Musterschreiben für eine sogenannte Impfunfähigkeits-Bescheinigung an. Dieses Schreiben besagt, dass ein Kind aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann. Wird ein solches Schreiben von einem Arzt ausgestellt, dürfen damit auch ungeimpfte Kinder in Schulen und Kitas.
Recherche unter Impfgegnern
Wir wollen herausbekommen, ob diese Möglichkeit von Eltern genutzt wird und melden uns in Foren, Facebook-Gruppen und Messenger-Kanälen für Impfgegner an. Viele Eltern haben große Sorgen: Sie fürchten sich vor Nebenwirkungen und Impfschäden. Immer wieder fällt dabei der Begriff "Unfähigkeits-Bescheinigung".
Dabei wird auch von einem Kinderarzt aus dem Raum Stuttgart berichtet. Er könne bei dem Problem mit der Bescheinigung helfen. Wir finden den Arzt in der Rednerliste eines Online-Kongresses zum Thema Impfen. Dr. Wolfgang Scheel spricht dort offen über seine Arbeit: "Eine Impfpflicht gibt es nicht, (…) aber es gibt eben eine Nachweispflicht. Sie können aber, und dabei helfen wir schon, nachweisen, dass ihr Kind nicht geimpft werden darf."
Dr. Scheel äußert sich beim Impformationskongress zur Nachweispflicht im Masernschutzgesetz.
Diagnose für ein ausgedachtes Kind
ZDFheute wird eine E-Mail des Kinderarztes weitergeleitet. Darin bietet er Eltern an, Impfunfähigkeits-Bescheinigungen auszustellen. Alles, was man tun müsse, sei einen frankierten Rückumschlag mit den Daten des Kindes an ihn zu senden, Infos über eine Erkrankung in der Familie und zehn Euro, eingewickelt in Silberpapier. Wir denken uns also ein Kind aus und schicken die gewünschten Informationen inklusive Geld zu Dr. Scheel. Und tatsächlich: Nach wenigen Tagen erhalten wir eine Bescheinigung, dass unser ausgedachter Sohn nicht geimpft werden kann. Das habe Scheel nach einer gründlichen Untersuchung festgestellt. Unser Fake-Kind könnte jetzt ungeimpft in eine Kita oder Schule gehen.
Warum macht der Arzt das? Wir bitten um ein Interview, schicken ihm unsere Fragen - keine Antwort. Auch am Telefon kein Durchkommen. Wir besuchen ihn in seiner Praxis - auch jetzt kein Interview. Stattdessen verweist er hinterher per Mail auf die vielen Eltern, die sich an ihn wenden, um so dem "Impfzwang" zu entgehen. Warum er Kindern ein ärztliches Attest ausstellt, die er nicht kennt, erklärt er später auf Nachfrage so:
Die Bundesärztekammer sieht rechtliche Probleme
Wir schildern der Bundesärztekammer den Fall. Die Ärztevertretung sieht darin auch rechtliche Probleme:
Das Ringen um die Kassenzulassung
In der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ist Dr. Scheel schon länger als Impfgegner aufgefallen. Im Februar demonstrierten vor dem Gebäude Eltern dafür, dass er seine Zulassung als Kassenarzt behalten darf. Dass der Arzt Impfunfähigkeits-Bescheinigungen ausstellt, ohne Patienten untersucht zu haben, war hier nicht bekannt.
"Wenn der Arzt das in Einzelfällen - und das gibt es sicher, medizinisch begründbare Einzelfälle - tut oder die Kinderärzte das tun, dann ist das in Ordnung", meint Dr. Johannes Fechner aus dem Vorstand der KV Baden-Württemberg: