Delhis Thermometer sind am Anschlag: 50 Grad Celsius können sie maximal anzeigen. Diese Marke wird in Indien derzeit nur knapp verfehlt, die Belastung für die Menschen ist enorm.
Hitzewellen gibt es jedes Jahr in Indien. Doch dieses Jahr ist sie extrem. Jeden Morgen fährt Brij Raj in seinem Wassertanklaster durch die engen Gassen der Rajbir Colony, eine Nachbarschaft im Osten der Hauptstadt Neu Delhi. Schon bevor er an der Verteilungsstelle anhält, hat sich eine Traube von Menschen hinter seinem Tanklaster gebildet. Sie kommen mit Eimern, Flaschen, Plastikbehältern jeglicher Art und kämpfen um jeden Tropfen.
"Ohne Wasser liegen die Nerven blank"
"Wasser ist überlebenswichtig, doch hier gibt es zu wenig. Es kommt oft zu Streitereien, Handgreiflichkeiten. Aber es ist verständlich, ohne Wasser liegen die Nerven blank", erklärt Brij Raj resigniert.
Die Hausfrau Sushila Devi hat an diesem Morgen Glück gehabt und kommt mit zwei prall gefüllten Eimern wieder nach Hause. Der Wasservorrat muss für den ganzen Tag reichen, denn seit Monaten fließt aus den Wasserhähnen ihrer Unterkunft kein einziger Tropfen mehr.
Besonders die arme Bevölkerung leidet
Besonders der ärmere Teil der Bevölkerung leidet unter den Folgen der langen Hitzewelle. Unter den dünnen Wellblechdächern ihrer Hütten staut sich die Hitze - dazu kein Wasser, kein Strom, keinen Ventilator.
Hitzeschutzlager in Neu Delhi
In Neu Delhi sorgen die kurzfristig von der Stadtverwaltung eingerichteten knapp 200 Hitzeschutzlager für ein wenig Linderung. Auf provisorisch aufgestellten Pritschen und unter quietschenden Deckenventilatoren dösen Männer geschützt vor der brütenden Mittagshitze. Ram Satya Tiwari leitet eine dieser Unterkünfte:
Ravi ist einer von ihnen. Er kommt aus dem 350 Kilometer entfernten Gwalior und ist in Delhi, um Geld zu verdienen. Er hilft, schwere Waren auf einem Handwagen zu transportieren. Fünf weitere Geschwister und die Mutter unterstützt er mit seinem Verdienst.
"Ich muss nachmittags wieder raus, um Geld zu verdienen. Jeder Job bringt mir zwischen 10 bis 20 Rupien, also 10 bis 20 Cents."
Ohne Schweiß, kein Preis, ist in seinem Fall sehr wörtlich zu nehmen.
Weizenernte wird geringer ausfallen
Die Hitze fordert nicht nur den Menschen viel ab, sondern hat auch wirtschaftliche Folgen. Viele der 1,3 Milliarden Menschen im Land arbeiten in und leben von der Landwirtschaft. Weizen ist ein wichtiges Grundnahrungsmittel, das Land produziert jährlich über 100 Millionen Tonnen. Nach China ist Indien der zweitgrößte Produzent des Getreides.
"Die Körner sind verdorrt, die Qualität ist schlechter als sonst", lamentiert der Bauer Ramgopal und fügt hinzu, dass der Ertrag seiner Felder um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gefallen ist.
Indien, das noch vor ein paar Wochen großzügig den Ausfall der Weizenproduktion durch den Ukraine-Krieg durch Exporte ausgleichen wollte, hat die Notbremse gezogen. Der Weizen bleibt im Land, um die eigene Ernährungssicherheit zu gewähren.
Hitzewellen werden "häufiger und regelmäßiger auftreten"
Rekord-Temperaturen - nur eine Laune der Natur? Die Umweltexpertin Anumita Chowdhury vom Centre for Science and Environment in Neu Delhi widerspricht:
Diese Aussage unterstützt eine Studie von 29 Wissenschaftlern, die diese Woche von der World Weather Attribution (WWA) vorgelegt worden ist. In ihr warnen die Wissenschaftler, dass die Häufigkeit von extremen Hitzewellen um ein 30-faches gestiegen sei. Ursache: menschlich ausgelöster Klimawandel.