Inneres Kind: Wo Selbsthilfe an Grenzen kommt

    Psychologie:Inneres Kind: Wo Selbsthilfe an Grenzen kommt

    von Anna-Teresa Kiefer
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    In Ratgebern und im Netz liegt die Heilung des "inneren Kinds" im Trend. Doch was bringt es, sich in Eigenregie mit der Kindheit auseinanderzusetzen? Antworten aus der Psychologie.

    Silhouette eines Kindes bei Sonnenuntergang
    Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen aus der Kindheit - dafür steht symbolisch das "innere Kind".
    Quelle: Colourbox.de

    Wenn wir als Erwachsene unser "inneres Kind" besser verstehen, können wir leichter mit unseren Gefühlen umgehen - so die Annahme, die seit einiger Zeit in Ratgebern und sozialen Medien verbreitet wird und bei vielen Menschen Anklang findet.
    Das "innere Kind" steht dabei symbolisch für die Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen aus der Kindheit. Dazu gehört auch Negatives, zum Beispiel Zurückweisungen und Verletzungen. Durch eine liebevolle Auseinandersetzung mit dem "inneren Kind" soll Heilung geschaffen werden.

    Bewusstsein schaffen ist noch keine Therapie

    Doch ganz so einfach ist es nicht, wie Prof. Dr. Wolfgang Lutz, Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Trier, im Gespräch mit ZDFheute erklärt.

    Man muss natürlich etwas aufpassen, dass man sich nicht in diesem Biografischen mehr oder weniger verliert, sondern dass Probleme letzten Endes immer im Hier und Jetzt lösbar sind.

    Prof. Dr. Wolfgang Lutz, Psychologe Universität Trier

    Gerade bei bestimmten Ängsten, Niedergeschlagenheit oder depressiven Verstimmungen können "übende, bewältigende Verfahren und Interventionen hilfreich sein", erläutert der Experte.
    Die alleinige Auseinandersetzung mit der Kindheit kann demnach zwar ein Bewusstsein dafür schaffen, wo Probleme liegen. Eine Therapie der Probleme sei das aber nicht, macht Lutz deutlich.
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    "Inneres Kind" lässt Raum für Esoterik

    Der Begriff "inneres Kind" taucht vielfach auf, in der Forschung ist er allerdings nicht allgemein definiert. Er wird vor allem verwendet, um Patientinnen und Patienten eine bildhaftere Vorstellung zu ermöglichen. Besonders im Netz geht dieses Bildhafte zum Teil so weit, dass der Eindruck entsteht, man habe als Erwachsener tatsächlich ein Kind in sich, mit dem man Kontakt aufnehmen könne.

    Die Selbsthilfeliteratur ist natürlich immer auch ein Stück weit geprägt durch esoterische Aspekte.

    Prof. Dr. Wolfgang Lutz, Psychologe Universität Trier

    Dennoch könne man einen "wahren Kern" herausarbeiten. "Das sind diese biografischen Elemente, mit denen man dann durchaus auch therapeutisch arbeiten kann", erläutert er. Dadurch, dass der Begriff nicht enger definiert sei, fänden jedoch auch diverse andere Arten von Definitionen statt, inklusive esoterischer Definitionen, "die dann vielleicht therapeutisch nicht mehr unbedingt hilfreich sind."
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    Nicht alle Probleme haben ihren Ursprung in der Kindheit

    Psychotherapeutische Hilfe kann an verschiedenen Stellen ansetzen. Beispielsweise, wenn jemand in seiner Kindheit häufig von den Eltern zurückgewiesen wurde und im Erwachsenenalter ebenfalls wütend reagiert, wenn er Zurückweisung erfährt.
    Nachdem ein Bewusstsein für den Zusammenhang geschaffen wurde, gehe es darum, neue Handlungsoptionen zu erarbeiten, um dann in der konkreten Situation anders zu reagieren, erklärt der Psychologe das Vorgehen. "Und dann möglicherweise auch in einen anderen emotionalen Zustand, einen sogenannten reiferen Zustand hineinzukommen."
    Das gelinge aber nur mit einer professionellen psychologischen Begleitung und nicht allein durch die Selbsthilfeliteratur, die gerade im Trend liegt. Außerdem gelte grundsätzlich: Nicht alle Probleme, die man im Jetzt hat, haben ihren Ursprung in der Kindheit.

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