Insekten als Zusatz im Essen?: Viel Aufregung um wenig Käfer

    Insekten als Zusatz im Essen?:Viel Aufregung um wenig Käfer

    Oliver Klein
    von Oliver Klein
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    Medienberichte erwecken den Eindruck, als seien in vielen Lebensmitteln Insekten als Zusatz enthalten, Dank neuer EU-Verordnung. ZDFheute checkt - was steckt hinter der Aufregung?

    Insekten-Burger und Mehlwurm-Bällchen
    Ein etwas anderer Burger - mit Insekten statt Fleisch
    Quelle: dpa

    Der Wirbel ist groß: "Getreideschimmelkäfer und Hausgrille künftig in vielen Lebensmitteln enthalten", titelt der "Münchner Merkur" zu einer neuen EU-Verordnung. "Wenn es nach der Europäischen Union geht, werden wir jetzt alle zur Dschungelprüfung geschickt", warnt die "Bild"-Zeitung. Insekten könnten jetzt "praktisch überall" drin sein: in Brot, Keksen, Schokolade, Wurst, heißt es.
    In Sozialen Medien gehen Sharepics viral - die Warnung: "Diese bekannten Lebensmittel enthalten jetzt schon Insekten". Aufgezählt werden bekannte Marken, von "Müllermilch" bis "M&M's". In Elterngruppen wird aufgeregt darüber diskutiert, selbst der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger bei Twitter warnt: "Eventuell müssen die Insekten im Essen gar nicht deklariert werden und Sie essen sie, ohne es zu wissen."

    Experte: Kein einziger Fall bekannt

    Doch was steckt hinter der Aufregung? Tatsächlich erlaubt eine neue EU-Verordnung, dass jetzt Heimchen, auch bekannt als Hausgrille, und der Getreideschimmelkäfer in Lebensmitteln verarbeitet werden dürfen. Aber das ist nichts grundsätzlich Neues: Schon seit 2021 haben der Mehlwurm - also die Larve des Mehlkäfers - und die Wanderheuschrecke die EU-Zulassung als neuartiges Lebensmittel erhalten.
    Doch obwohl es erlaubt ist, hat die Industrie diese Insekten in Lebensmitteln bisher so gut wie nicht verwendet:

    Wir kennen keinen einzigen Fall, in dem Insekten als Zutat sozusagen heimlich in normalen Lebensmitteln beigemischt wird.

    Armin Valet, Verbraucherzentrale Hamburg

    "Es gibt bisher nur Produkte, die extra als Insektenlebensmittel gekennzeichnet sind. Und das steht dann auch groß drauf", erklärt Lebensmittelexperte Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg auf Anfrage von ZDFheute.
    Insekten als Pausensnack?
    Dass Insekten also massenweise in Keksen, Schokolade, Wurst oder anderen Produkten verarbeitet werden, ist ein Gerücht: "Bisher gibt es nur einen sehr kleinen Markt für Insektenprodukte, die extra als solche ausgelobt werden", so Valet. "Da werden die Tiere vermahlen. Insektenmehl oder Proteinpulver wird dann als Zutat, meistens so zehn bis 15 Prozent, für Müsli, Insektennudeln, Proteinriegel oder Eiweißpulver für Sportler verwendet." Insekten seien aber ein vergleichsweise teures Nischenprodukt, das werde auch so bleiben.

    Heimliches Beimischen verboten

    Und selbst, wenn die Lebensmittelindustrie stärker von der Erlaubnis gebraucht machen wollte, muss sie das grundsätzlich transparent angeben - die Verordnung schreibt sogar den genauen Text vor: "Teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)" muss auf der Verpackung stehen, wenn Heimchen dem Produkt beigemischt wurden.
    Das ist vor allem für Allergiker wichtig zu wissen: "Menschen, die gegen Krebs-, Weichtiere oder Hausstaubmilben allergisch sind, sollten wegen des Insektenpanzers vorsichtig sein", warnt Valet.
    Burger mit Patties aus Insekten
    13.09.2022 | 2:18 min
    Insektenburger enthalten hochwertige Proteine, Eisen, Magnesium und Ballaststoffe. Und ihre Klimabilanz ist besser als die von Rindfleisch.

    Farbstoff aus Läusen schon lange erlaubt

    Und was ist mit den konkreten Warnungen vor bestimmten Produkten, die angeblich bereits Insekten enthalten? Hier geht es um Zusatzstoffe, insbesondere um E120 und E904. Der rote Farbstoff Karmin (E120) wird aus Cochenilleschildläusen gewonnen. Dazu werden die Läuse getrocknet und ausgekocht, danach wird der Farbstoff ausgefällt. 
    Karmin wird seit über 2.000 Jahren zum Färben von Textilien genutzt - heute wird es vor allem in der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie verwendet, es macht beispielsweise Lippenstift oder den Überzug von Schokolinsen rot. In Deutschland ist Karmin seit Jahrzehnten für Lebensmittel zugelassen.
    Screenshot: Lebensmittel-Friedhof
    Screenshot aus der Telegram-Gruppe "Lebensmittel-Friedhof" - Zusatzstoffe sind keine Insekten.
    Quelle: https://t.me/LebensmittelFriedhof/1910

    Warnung vor enthaltenen Insekten irreführend

    Der Zusatzstoff Schellack (E904) wird ebenfalls aus Schildläusen gewonnen und als Glanz- oder Bindemittel eingesetzt. Die Industrie überzog früher Schallplatten mit Schellack, um die Oberfläche zu versiegeln, heute wird Schellack in Kosmetik verarbeitet, in Farben und Lacken, aber auch in der Lebensmittelindustrie - um beispielsweise Süßwaren zum Glänzen zu bringen. Steht auf Zitrusfrüchten "gewachst", ist oft Schellack im Einsatz.
    Beide Stoffe - E120 und E904 - gelten als gesundheitlich unbedenklich, wenn auch Karmin bei manchen Menschen allergische Reaktionen auslösen kann. Für Veganer sind beide Stoffe nicht geeignet. Doch die Warnung, dass in Lebensmitteln mit E120 oder E904 Insekten enthalten seien, ist zumindest irreführend: Enthalten sind Stoffe, die aus Schildläusen gewonnen werden, nicht die Insekten selbst.

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