Schilddrüsen-Probleme: Die Rückkehr des Jodmangels

    Schilddrüsen-Probleme:Die Rückkehr des Jodmangels

    von Claudia Füßler
    06.10.2022 | 17:27
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    Deutschland ist wieder Jodmangelgebiet. Das liegt vor allem daran, dass die Lebensmittelindustrie weniger Jodsalz verwendet. Der Mangel kann schwere gesundheitliche Folgen haben.

    Junges Paar im Supermarkt berät sich vor einem Regal
    Allein über die Ernährung kann der tägliche Jodbedarf nicht gedeckt werden.
    Quelle: imago/photothek

    "Wir backen mit Jodsalz", verkündeten Bäckereien in den 90er-Jahren stolz mit einem Aufkleber an der Ladentür und zeigten damit, dass sie sich um die Gesundheit ihrer Kunden kümmerten: Sie folgten einem Aufruf des Ende der 80er-Jahre gegründeten Arbeitskreises Jodmangel, der sich für eine bessere Jodversorgung der Bevölkerung einsetzt.
    Das hat lange gut funktioniert. Nicht nur Bäckereien, sondern viele Unternehmen in der Lebensmittelindustrie verwendeten für ihre Produkte jodiertes Speisesalz. Das ist notwendig, da die Böden in Deutschland sehr jodarm sind.

    Rückläufige Jodversorgung in Deutschland

    Doch seit einigen Jahren dokumentiert das Robert-Koch-Institut eine rückläufige Jodversorgung. Das ist hauptsächlich auf einen geringeren Einsatz von jodiertem Speisesalz in der professionellen Lebensmittelverarbeitung zurückzuführen. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Deutschland wieder zum Jodmangelgebiet geworden.
    Viele Erwachsene kommen hier im Durchschnitt nicht auf den minimalen Tagesbedarf von 100 Mikrogramm Jod am Tag. Experten schätzen, dass derzeit etwa ein Drittel der Bevölkerung unzureichend versorgt ist. Bekommen wir zu wenig Jod, vergrößert sich die Schilddrüse.

    In einer vergrößerten Schilddrüse entstehen leichter Knoten.

    Jochen Seufert, Uniklinik Freiburg

    Jochen Seufert, Leiter der Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Freiburg, warnt: "Die können harmlos sein, aber auch Vorstufen von Schilddrüsenkrebs."

    Jod ist ein lebensnotwendiges Spurenelement, das wir vor allem für den Aufbau von Schilddrüsenhormonen brauchen. Diese steuern zahlreiche Stoffwechselprozesse. Normales Wachstum, die Knochenbildung, die Entwicklung des Gehirns und der Energiestoffwechsel beispielsweise sind auf Jod angewiesen. Da unser Körper Jod nicht selbst herstellen kann, müssen wir es mit der Nahrung aufnehmen. Ist die Versorgung gesichert, speichert der Körper Jod, allerdings in begrenztem Umfang. Davon können wir in Phasen der Mangelversorgung profitieren, wenn diese nur wenige Monate dauern. 

    Nehmen wir dauerhaft zu wenig Jod auf, entsteht ein chronischer Jodmangel. Sowohl eine Jodunterversorgung als auch eine Jodüberversorgung bergen gesundheitliche Risiken. Die Schilddrüse benötigt für sich etwa 80 Prozent des Jods, das wir täglich essen. Bekommt sie über einen längeren Zeitraum zu wenig, reagiert sie darauf mit einer Vergrößerung: Das Gewebe wächst und bildet neue Drüsenzellen, um das wenige Jod bestmöglich verwerten und die nötige Menge an Schilddrüsenhormonen produzieren zu können. Diese sogenannte Struma ist typisch für Jodmangelgebiete. Auch – meist gutartige – Knoten, die sich mit dem Alter in der Schilddrüse bilden und sonst keine Symptome verursachen, können zur Schilddrüsenvergrößerung führen. Bei etwa der Hälfte aller über-70-Jährigen werden Knoten entdeckt – als Zufallsbefund.

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    Wieder mehr Menschen mit Kropf 

    Eine Rückkehr zu dem Jodmangel wie in den 80er Jahren, würde mehr Schilddrüsenerkrankungen bedeuten, beispielsweise Kröpfe. "Uns fehlen noch vernünftige Studien, aber subjektiv gesehen:

    Ja, ich habe das Gefühl, dass wir wieder mehr Patienten haben mit Kropf, also einer vergrößerten Schilddrüse.

    Jochen Seufert, Uniklinik Freiburg

    "Wobei das nicht solche Ausprägungen sind wie früher die Schwarzwälder Kröpfe. Dass die so groß werden konnten, lag vor allem daran, dass die Leute damals einfach sehr spät zum Arzt gegangen sind", sagt der Mediziner.
    Einen neuen Kretinismus - durch angeborenen Mangel an Schilddrüsenhormonen kleinwüchsige und geistig zurückgebliebene Kinder - fürchtet Seufert hingegen nicht, dafür müsste der Jodmangel sehr viel ausgeprägter sein. Schwangeren wird heutzutage empfohlen, Jodtabletten zu nehmen.

    Die Verwendung von jodiertem Salz findet in der deutschen Lebensmittelindustrie auf freiwilliger Basis statt. Gesetzlich geregelt ist dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zufolge die Jodmenge, die dem Salz zugegeben werden darf. Sie liegt derzeit bei 15 bis 25 Milligramm pro Kilogramm. Laut einer Erhebung der Universität Gießen von 2019 ist in 28,5 Prozent der mit Salz hergestellten Lebensmittel aus den Warengruppen Brot und Backwaren, Fleisch und Fleischerzeugnisse sowie Milchprodukte jodiertes Speisesalz enthalten. Tierische Produkte enthalten auch deshalb Jod, weil Tierfuttermittel jodiert werden. Das BfR und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) plädieren dafür, den Jodgehalt in jodiertem Speisesalz auf 30 Milligramm pro Kilogramm zu erhöhen. Das sei vor allem vor dem Hintergrund der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten (NRI) sinnvoll. Diese nämlich soll den Gehalt von Zucker, Fett und Salz in industriell und handwerklich hergestellten Lebensmitteln senken und könnte durch den so verringerten Salzkonsum weiter zu einem Jodmangel beitragen. 

    Ein höherer Jodgehalt im Salz würde dem entgegenwirken. Dieses höher jodierte Salz müsste laut BfR in mindestens 36 Prozent und nicht wesentlich mehr als 42 Prozent aller Lebensmittel genutzt werden.

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    Meersalz und Himalayasalz liegen im Trend - und sind nicht jodiert

    Als wichtigster Hinderungsgrund für den Einsatz von jodiertem Speisesalz gelten neben dem höheren Preis die verschiedenen zugelassenen Höchstmengen in den EU-Ländern. "Das stellt für exportierende Unternehmen Handelshemmnisse dar", sagt Manon Struck-Pacyna vom Lebensmittelverband Deutschland.
    Diese stellen lieber ein Produkt ohne Jodsalz als mehrere mit unterschiedlichen Dosierungen her. Zudem gibt es Struck-Pacyna zufolge immer wieder Kampagnen von Jodskeptikern, die dazu führen, dass Verbraucher jodierte Produkte ablehnen. Und: Nicht jeder verwendet in der heimischen Küche Jodsalz. Meersalz oder Himalayasalz zum Beispiel sind im Trend - aber jodfrei.

    Wenn Sie zu Hause kochen, sollten Sie Jodsalz verwenden. Wer Seefisch isst, kann das zweimal die Woche tun. Auch Algen sind eine natürliche Jodquelle, allerdings schwanken hier die Gehalte sehr, es besteht das Risiko einer Überversorgung. Deshalb sollte man damit eher vorsichtig sein. Wer auf Nahrungsergänzungsmittel zurückgreifen möchte, kann einmal täglich eine Jodid-Tablette mit 100 Mikrogramm Jod nehmen. Es gibt auch Depotpräparate, von denen man einmal die Woche eine Tablette nimmt. Die Schilddrüse sollte in diesem Fall vorher ärztlich abgeklärt werden.

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    "Jodbedarf allein über Ernährung nicht zu decken"

    Den höchsten Jodgehalt bei Lebensmitteln haben Seefische wie Seelachs, Kabeljau, Hering, Rotbarsch und Makrele. Menschen, die keinen Fisch essen, können auf grünes Gemüse wie Brokkoli, Spinat, Grünkohl und Feldsalat zurückgreifen, vorausgesetzt, es ist auf jodhaltigem Boden angebaut worden.
    "Dennoch können wir mit der Ernährung allein unseren Bedarf nicht decken, wenn nicht für einen Großteil unserer Lebensmittel Jodsalz verwendet wird", sagt Seufert.
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    Ohne Jodsalz käme man auf maximal 40 bis 50 Mikrogramm Jod pro Tag. Die WHO empfiehlt 100 bis 200 Mikrogramm, Schwangeren und Stillenden sogar 230 Mikrogramm. Seufert warnt:

    Wir rutschen ohne Jodsalz also ziemlich schnell in eine Unterversorgung.

    Jochen Seufert, Uniklinik Freiburg

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