Quarterlife Crisis: Wenn Zukunftsangst lähmt

    Sinnkrise bei jungen Erwachsenen:Quarterlife Crisis – wenn Zukunftsangst lähmt

    Alica Jung
    von Alica Jung
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    Unsicher, orientierungslos: So fühlen sich gerade viele junge Menschen. Für einige wird daraus sogar eine Krise. Durch die Nachrichtenlast ist die Zahl der Betroffenen gestiegen.

    Auf dem Bild sieht man eine junge Frau im Schneidersitz auf einer Couch im Wohnzimmer sitzen. Auf ihrem Schoß hat sie einen Laptop und in der Hand einen Hand hält sie ein Smartphone. Ihr lächelnder Blick ist auf das Smartphone gerichtet - mit der anderen Hand wischt sie mit den Fingern über das Handydisplay.
    Soziale Netzwerke als eine der Antriebsfedern der Quarterlife Crisis?
    Quelle: colourbox.de

    Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, die Situation in Iran, die Auswirkungen von Corona: Die Studierenden an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität müssen nicht lange überlegen, welche Themen sie aktuell belasten.
    Die Liste der Krisen und Konflikte, die uns seit Jahresbeginn beschäftigen, ist lang, eine Entspannung nicht in Sicht. Dass das nicht spurlos an vielen vorüber geht, merken auch die Psychosozialen Beratungsdienste der Studierendenwerke.

    Studierende: Viele leiden unter Corona-Folgen

    Die Nachfrage nach Beratung wird seit Jahren immer höher, berichtet Rüdiger Görlitz, Leiter des Beratungsdienstes am Studentenwerk Erlangen-Nürnberg, "seit der Pandemie und dem aktuellen Weltgeschehen ist sie nochmal gestiegen."
    Auch wenn nach zwei Corona-Jahren Lehrveranstaltungen wieder in Präsenz stattfinden und Kontaktverbote aufgehoben worden sind, merke man noch immer die Nachwirkungen der Corona-Beschränkungen und was im ersten Semester schiefgelaufen sei.
    Wer unmittelbar vor einer Krise stand, bei dem wurde durch Corona das Stresslevel stark erhöht, zusätzlich waren die Ressourcen zur Stressbewältigung wie sozialer Austausch, sportliche Aktivitäten, Freizeitgestaltung durch die Pandemie enorm eingeschränkt.
    Wie Corona sei auch die aktuelle Nachrichtenlage ein direkter Stressor, "weil sie die Unsicherheit und Unplanbarkeit verstärkt", erklärt Rüdiger Görlitz. Jede zweite Beratung drehe sich um Fragen der Zukunftsperspektive und um Unsicherheiten, das sei schon sehr auffällig.

    Quarterlife Crisis: Ein reales Phänomen

    Immer wieder werde in den Beratungen deutlich, dass Betroffene unter einer Quarterlife Crisis leiden, einer Lebens- und Sinnkrise in der Endphase des ersten Lebensviertels im Alter zwischen 21 und 29.
    Plötzlich werde alles infrage gestellt, sagt Rüdiger Görlitz. Fragen wie: Wie soll es weitergehen, wo gehöre ich hin, mache ich hier eigentlich das Richtige?

    Das ist ein reales Phänomen, nicht nur etwas, wo man einen schicken Namen gesucht hat, sondern was wir in unserer täglichen Arbeit stark spüren.

    Rüdiger Görlitz, Leiter des Beratungsdienstes am Studentenwerk Erlangen-Nürnberg

    Eine Quarterlife Crisis könne zu einem massiven seelischen Ungleichgewicht führen, wobei Betroffene sich orientierungslos fühlten, Selbstwertprobleme hätten und ihre Motivation leide. In einigen Fällen könne dies zu einer handfesten depressiven Episode führen.
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    Auch die aktuelle Nachrichtenlast wirke auf die Quarterlife Crisis ein, verstärke Gefühle von Unsicherheit und Unplanbarkeit.

    Es kommen Gedanken auf wie: Wofür soll ich mich anstrengen, wenn doch die Zukunft so ungewiss ist?

    Rüdiger Görlitz

    Raus aus der Krise - wie geht das?

    Doch wie kann dieses Gefühl überwunden, wie ihm vorgebeugt werden? Eine der Antriebsfedern der Quarterlife Crisis sei der Einfluss durch Soziale Netzwerke, meint Rüdiger Görlitz. Durch Corona fand ein Großteil des Lebens im Digitalen statt und auch aufgrund der Nachrichtenlage greifen viele häufiger zum Smartphone. Das mache sich in Bezug auf emotionale Krisen bemerkbar.
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    Online würden Vergleiche mit dem vermeintlichen perfekten Leben Anderer gezogen, das befeuere das Infragestellen und das Gefühl von: Bei mir läuft irgendetwas schief.
    Rüdiger Görlitz rät daher, sich von der Nachrichtenlast und Social Media so gut es geht zu distanzieren und den Medienkonsum auf festgelegte, dosierte Zeiträume zu begrenzen. Außerdem gelte: "Wenn man in einer Krise steckt, ist es wichtig, das auch zu akzeptieren und darüber zu sprechen".

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