30.000 Teilnehmende, 1.500 Veranstaltungen, doch Feststimmung wird angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Krise der katholischen Kirche in Stuttgart kaum aufkommen.
Katholikentage und Evangelische Kirchentage sind traditionell große Glaubensfeste. Sie sollen den Gemeinschaftsgeist der Glaubenden stärken angesichts einer zunehmenden Säkularisierung, zugleich aber auch den Anspruch der Kirchen zeigen, dass sie Gesellschaft mitgestalten wollen. Deshalb gehört es zur guten Tradition, dass politische Prominenz vertreten ist.
Katholische Kirche mit Imageproblemen
Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz kommen auch zum Katholikentag in Stuttgart zahlreiche Ministerpräsident*innen und Bundesminister*innen. Doch im Vorfeld war zu hören, dass bei der ein oder anderen Politgröße mehr Überzeugungsarbeit zu leisten war als in früheren Jahren. Die Kirchenbindung nimmt auch bei den Regierenden in Bund und Ländern ab. Dazu kommt das schlechte Image der katholischen Kirche.
Der Missbrauchsskandal, die endlosen Debatten über Reformen, kleinere und größere Finanzskandale, Diskussionen um den Führungsstil von Bischöfen und Kardinälen bestimmen die Wahrnehmung vieler Menschen mit Blick auf die katholische Kirche. Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, dass zum Katholikentag in Stuttgart weit weniger Teilnehmende kommen, als die Veranstalter ursprünglich erwarteten. Beim letzten Katholikentreffen in Münster 2018 waren es noch 80.000.
Reformen als Thema
Für Stuttgart rechnen die Veranstalter, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und das Bistum Rottenburg-Stuttgart, mit 30.000. Allein Corona dürfte dieser Rückgang nicht geschuldet sein. Vor wenigen Wochen wurde das Programm kräftig ausgedünnt, um nicht vor leeren Hallen zu stehen und die Kosten im Griff zu behalten.
Die innerkirchlichen Reformthemen stehen auch in Stuttgart auf dem Programm. Die Stärkung der Rolle der Laien, allen voran der Frauen, gehört ebenso dazu wie die Frage nach Diversität und Vielfalt in der Kirche. Zu einem echten Dialog wird es schwer kommen können. Denn die entschiedensten Gegner der Veränderungen wie etwa der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki oder der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer beteiligen sich laut Programm nicht an Podien und Diskussionen.
Krieg und Globalisierung
Mit Blick auf die gesellschaftspolitischen Themen spielen in Stuttgart Fragen einer gerechten sowie nachhaltigen Globalisierung eine große Rolle und der Ukraine-Krieg. Der stellt auch die Kirchen vor große Herausforderungen. Auch sie ringen um eine realistische Haltung angesichts der neuen Bedrohungslage.
Nach Kritik von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche verzichtet Kardinal Reinhard Marx auf die Auszeichnung. Jürgen Erbacher sieht darin "ein Zeichen an andere Bischöfe", Betroffene "stärker in den Blick zu nehmen".
Militärbischof Franz-Josef Overbeck erteilte jüngst einer "bedingungslosen Gewaltlosigkeit", wie sie durchaus auch in christlichen Kreisen bisweilen vertreten wird, eine klare Absage. Die katholische Friedensbewegung Pax Christi warnte zugleich vor einem Rückfall in militärische Abschreckungspolitik. Waffen und Abschreckung garantierten keinen Frieden, erklärte jüngst der deutsche Pax-Christi-Präsident, Bischof Peter Kohlgraf.
Friedensdemo am Freitag
Der Krieg wirkt sich auch auf die Beziehungen der christlichen Kirchen untereinander aus. Das Verhalten des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. belastet das Verhältnis der Kirchen untereinander schwer. Das hat Folgen für das Zusammenleben der Christen weltweit. Der Katholikentag könnte ein Forum für einen Dialog sein. Doch ob Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche anwesend sein werden, blieb laut Veranstalter bis zuletzt offen. Für Freitag ist eine große Friedensdemonstration geplant.
Zwischen Krieg und Krise ist der Katholikentag in Stuttgart für die katholische Kirche die Möglichkeit einer Standortbestimmung nach zwei Jahren Pandemie. Er wird zeigen, welche Kraft sie noch besitzt, Menschen zu mobilisieren und sich in gesellschaftspolitischen Themen Gehör zu verschaffen.