In München ist ein externes Gutachten zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche vorgestellt worden. Darin werden auch Vorwürfe gegen Papst Benedikt und Kardinal Marx erhoben.
Ein Gutachten lastet dem emeritierten Papst Benedikt XVI. in vier Fällen Fehlverhalten im Umgang mit sexuellem Missbrauch während seiner Zeit als Erzbischof des Bistums München und Freising an. Das sagte der Jurist Martin Pusch am Donnerstag bei der Vorstellung des Gutachtens in München. In allen Fällen habe Benedikt - damals Kardinal Joseph Ratzinger - ein Fehlverhalten strikt zurückgewiesen.
Dem externen Gutachten zufolge gibt es Hinweise auf mindestens 497 Opfer sexualisierter Gewalt im katholischen Erzbistum München und Freising. Die Gutachter untersuchten Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen von 1945 bis 2019, um Hinweise auf systemische Ursachen und Verantwortlichkeiten in der Leitung des Erzbistums zu finden.
Überwiegend männliche Opfer, Dunkelfeld unbekannt
Nach Angaben der Gutachter waren 247 Opfer männlich, 182 Opfer weiblich, in 68 Fällen sei eine Zuordnung nicht möglich gewesen, sagte Rechtsanwalt Pusch, der einer der Autoren des Gutachtens ist. 60 Prozent der betroffenen Jungen waren zwischen acht und 14 Jahre alt.
Damit bestätige sich, dass die Opfer sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche überwiegend männliche Kinder und Jugendliche gewesen seien. Pusch betonte, die Zahlen deckten nur die bekannt gewordenen Fälle ab. Die Kanzlei gehe von einem weitaus größeren Dunkelfeld aus.
Die Kirche und der Missbrauch
Gutachten erhebt auch Vorwürfe gegen Marx
Dem Münchner Kardinal Reinhard Marx werfen die Gutachter Untätigkeit vor. Es sei ungeachtet einer Vielzahl von Meldungen nur in "verhältnismäßig geringer Zahl" festzustellen, dass sich der Kardinal überhaupt unmittelbar mit Missbrauchsfällen befasst habe, sagte Pusch. Außerdem sei Marx in zwei Verdachtsfällen ein konkretes fehlerhaftes Verhalten vorzuwerfen. Marx habe sich auf eine "moralische Verantwortung" zurückgezogen und die direkte Verantwortung im Generalvikariat gesehen.
Erst ab dem Jahr 2018 habe es bei Marx eine geänderte Haltung gegeben. Anwältin Marion Westpfahl kritisierte das Fernbleiben von Marx. "Wir hatten ihn ausdrücklich eingeladen", sagte sie. Die Entscheidung von Marx sei vor allem bedauerlich mit Blick auf das Interesse Missbrauchsbetroffener, "wahrgenommen zu werden".
Auch Marx' Vorgänger, Kardinal Friedrich Wetter, wird Fehlverhalten vorgeworfen - in 21 Fällen.
Priester wurden trotz Verurteilung weiter eingesetzt
Das Gutachten kommt auch zu dem Schluss, dass viele Priester und Diakone auch nach Bekanntwerden entsprechender Vorwürfe weiter eingesetzt worden seien. 40 Kleriker seien ungeachtet dessen wieder in der Seelsorge tätig gewesen beziehungsweise dies sei geduldet worden. Bei 18 davon erfolgte dies sogar nach "einschlägiger Verurteilung", wie Pusch sagte.
Das neue Gutachten stellt der katholischen Diözese ein schlechtes Zeugnis aus. Auch in jüngster Zeit habe kein "Paradigmenwechsel" mit dem Fokus auf die Betroffenen stattgefunden, sagte Pusch. Ein aktives Zugehen auf die Opfer gebe es nicht.