Immer mehr Menschen kehren nach Kiew zurück. Teilweise ist das Leben in der Hauptstadt so lebendig wie vor dem Krieg, doch die Gefahr neuer Angriffe droht weiter.
Der Einschlag einer russischen Rakete in einem 22-geschossigen Wohnhaus im Schewtschenko-Stadtviertel von Kiew hat in den unteren Etagen ganze Wohnungen weggesprengt. Die Fensterscheiben fehlen. Unklar ist, ob die Statik hält. "Das wird schon", meint Gebäudeverwalter Jan. Die Rakete schlug am 28. April gegen 20 Uhr ein - als auch UN-Generalsekretär António Guterres in der Stadt war.
Nach Raketenangriff Ende April: Schock sitzt noch "bei vielen tief"
"Ich hatte um 19.00 Uhr mein Büro im dritten Stock verlassen, eine Stunde später kam der Anruf: Es gab eine Explosion", erinnert sich der Verwalter. Viele Wohnungen sind nicht mehr bewohnbar, in einigen leben aber wieder Menschen. "Vor allem Frauen kommen zurück", sagt Jan. "Einige waren nach ihrer Flucht zu Kriegsbeginn gerade erst wieder zurückgekehrt in die Wohnung, als die Rakete einschlug."
Mehrere Menschen wurden an dem Tag Ende April verletzt. Die ukrainische Journalistin Wira Hyrytsch wurde tot aus den Trümmern geborgen. Auch einen Monat danach sitzt der Schock bei vielen tief. "Die Russen hassen uns, wollen uns und alles vernichten", sagt die 47 Jahre alte Tanja, die in die Wohnung im 21. Stockwerk will. Die private Unternehmerin erzählt, dass die Wohnung gerade renoviert werden sollte, deshalb sei niemand dort gewesen beim Raketenangriff. Sie schüttet ihr Herz aus: "Am schlimmsten ist, dass die Familie zerrissen ist."
Tatsächlich behauptet das russische Militär täglich, es würden nur militärische Objekte mit "Hochpräzisionswaffen" beschossen. Aber oft treffen sie in Wirklichkeit zivile Infrastruktur - wie hier. Gegenüber liegt das ebenfalls von einer Rakete getroffene Fabrikgebäude des Raketenherstellers "Artem". Das Haus steht direkt an einem belebten Markt an der Metrostation Lukjaniwska. Russland hat den Luftschlag eingeräumt.
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Fast jeden Tag ist Luftalarm zu hören
Überall in der Stadt sind an Stationen und öffentlichen Gebäuden zum Schutz Sandsäcke aufgestapelt. Tanja meint, es werde nichts helfen: "Viele haben das Land verlassen. Wir sind vielleicht noch 20 Millionen, sie sind 140 Millionen und werden uns einfach plattwalzen." Die Gefahr ist auch in Kiew gegenwärtig - wo Luftalarm fast täglich daran erinnert, dass Raketen einschlagen können. Viele Hauptstädter ignorieren den Alarm. Gehortet wird aber, wo es geht, das knappe Benzin, um notfalls mit dem Auto zu flüchten.
Am Hauptbahnhof von Kiew kommen inzwischen täglich mehrere Züge mit rückkehrenden Geflüchteten an. Einige sagen, sie wollten nach dem Rechten sehen, Dinge erledigen und dann vorerst wieder ins Ausland fahren, bis das Leben hier wieder sicher ist. Aber viele kommen, um zu bleiben - auch wenn Bürgermeister Vitali Klitschko dazu rät, lieber dort zu bleiben, wo keine Gefahr droht.
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Tagsüber vieles "wie vor dem Krieg"
Noch immer sind einige Geschäfte und etwa auch die Schnellrestaurants der US-Kette McDonald's geschlossen. Doch die Straßen, Busse und Züge werden immer voller. Während die Kämpfe vor allem im Osten der Ukraine weiter mit großer Härte toben, drängen sich die Menschen in Kiew wieder in den Metrowaggons, um zur Arbeit und nach Hause zu kommen. Die U-Bahn dient zwar weiter als Bunker, wenig erinnert aber daran, dass das Land schon fast 100 Tage im Kriegszustand ist.
Auf der Prachtmeile Chreschtschatyk ist vieles so wie vor dem Krieg - Menschen essen, trinken, lachen auf Terrassen in Cafés und Restaurants. Nur abends kehrt schlagartig Ruhe ein, wenn die Sperrstunde ruft - und sich wegen der Gefahr neuer russischer Raketenschläge niemand mehr draußen aufhalten soll.
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