Moderne Sklaverei: Kinderarbeit "in nahezu jeder Branche"

    "Versklavte Kinder":Kinderarbeit "in nahezu jeder Branche"

    von Marcel Burkhardt (Text) und Michaela Waldow (Grafiken)
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    Kritiker werfen Unternehmen vor, großen Gewinn aus der Arbeit "versklavter Kinder" zu ziehen. Die Wirtschaft dementiert und sieht sich doch zum Handeln gezwungen.

    Afghanistan, Kandahar: Mädchen sortieren Granatapfelkerne. Archivbild
    Kinderarbeit ist in weiten Teilen der Welt verbreitet: So wie hier in Afghanistan, wo zwei Mädchen Granatapfelkerne sortieren. (Archivbild)
    Quelle: epa

    • „Moderne Sklaverei“ findet laut Aussage der Internationalen Arbeitsorganisation ILO auf der ganzen Welt statt
    • Besonders schwer tut sich etwa die Schokoladenindustrie, Kinderarbeit in ihren Lieferketten zu beseitigen
    • Kritiker werfen den Unternehmen vor, ihre Versprechen über 20 Jahre lang gebrochen zu haben

    "Moderne Sklaverei findet in jeder Region der Welt statt", konstatiert die Internationale Arbeitsorganisation ILO. Und ausbeuterische Kinderarbeit ist ein Teil davon - "in nahezu jeder Branche", wie Philipp Appel von Save the Children Deutschland sagt.

    Die Ausbeutung von Kindern ist ein altes und extrem effizientes Geschäftsmodell - es reduziert Kosten, steigert Profite. Deshalb beuten auch heute viele Konzerne Kinder in ihren Lieferketten aus.

    Fernando Morales-de la Cruz, Menschenrechtsaktivist

    Ein Vorwurf, den Unternehmen vehement zurückweisen. Ein Sprecher der Firma Storck erklärt ZDFheute indes, dass eine wirksame Kontrolle der Lieferkette "niemandem möglich sei".

    Neue wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass das Ausmaß der globalen Kinderausbeutung womöglich noch größer ist als bislang bekannt. Was sind die Ursachen? Wer trägt wirtschaftlich und politisch Verantwortung? Welche Macht haben internationale Finanzinvestoren? Und helfen neue Lieferkettengesetze, Kinderrechte künftig besser zu schützen?

    ZDFheute geht diesen Fragen in einer siebenteiligen Serie nach. Bisher erschienen:

    Kinder-Ausbeutung auch in US-Automobilindustrie

    Vor allem in Afrika und Asien schuften Kinder auf Plantagen, in Bergwerken oder Fabriken. Doch auch in Europa und den USA gibt es ausbeuterische Kinderarbeit.
    Jüngst enthüllte die Nachrichtenagentur Reuters, dass über Jahre hinweg "Kinderarbeiter in der gesamten Hyundai-Kia-Lieferkette" im US-Bundesstaat Alabama ausgenutzt worden seien.
    Die Skandalliste ist lang. Denn das Versprechen, Kinderrechte zu schützen, wird weiter millionenfach gebrochen.
    Anzahl der Kinder in Kinderarbeit weltweit
    ZDFheute Infografik
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    Schokoladenindustrie schwer in der Kritik

    Von Menschenrechtsorganisationen, aber auch Investoren wird die Schokoladenindustrie besonders kritisch beäugt - ein Wirtschaftszweig, der global jährlich mehr als 100 Milliarden US-Dollar Umsatz macht.
    Das Inkota-Netzwerk, eine entwicklungspolitische Organisation, bezeichnet es als den "größten Skandal", dass kein großer Schokoladenhersteller garantieren könne, "dass in seinen Produkten keine Kinderarbeit steckt".

    "Lächerlich niedrige Preise" und Sklavenarbeit?

    Der Investigativjournalist und Pulitzer-Preisträger David Cay Johnston geht sogar so weit, zu sagen:

    Sieben große Lebensmittelhersteller - Hershey, Mars, Mondelez, Nestlé, Cargill, Barry Callebaut und Olam - machen den größten Teil der Gewinne aus der Arbeit versklavter Kinder.

    David Cay Johnston, Investigativjournalist

    Sein Argument: Die Unternehmen nutzten ihre Macht, um Preise für Kakaobohnen "auf ein lächerlich niedriges Niveau zu drücken", was de facto Sklavenarbeit zur Folge habe.
    Den Vorwurf weisen die Unternehmen weit von sich: Den Preis bestimmten nicht sie allein, sondern der Markt, durch Angebot und Nachfrage.
    Tagespreis für Kakaobohnen
    ZDFheute Infografik
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    Schweizer Schokoriese hinkt eigenen Zielen hinterher

    Der Schweizer Schokoladenhersteller Barry Callebaut, an dem die deutsche Jacobs-Familie große Anteile besitzt, bezeichnet sich selbst als "Herz und Motor der Schokoladenindustrie", als Gestalter der "Welt von Kakao und Schokolade", der "jeden Schritt der Wertschöpfungskette beherrscht".
    Beherrscht das Unternehmen aber auch seine Lieferketten? Auf ZDFheute Anfrage heißt es: "Im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie ‚Forever Chocolate‘ (…) streben wir an, Kinderarbeit bis 2025 aus unserer Lieferkette zu verbannen."
    Das wollte das Unternehmen - wie andere Größen des Geschäfts - eigentlich längst erreicht haben.



    Barry Callebaut: Blackbox indirekte Lieferkette

    Ende 2022 lautet Barry Callebauts Zwischenbilanz: Mehr als 80 Prozent der Bauerngruppen, die Teil der direkten Lieferkette seien, verfügten inzwischen über "Systeme zur Verhinderung, Überwachung und Beseitigung" von Kinderarbeit - "verglichen mit 61,4 Prozent im Vorjahr".
    Anders sehe es in der indirekten Lieferkette aus:

    Beim Kauf von Kakao über Zwischenhändler ist es naturgemäß schwierig, Kinderarbeit auszuschließen.

    Unternehmenssprecher Barry Callebaut

    Investigativjournalist Johnston betrachtet derlei Aussagen als "faule Ausreden" und sieht es als Aufgabe der Politik, Schokoladenhersteller zu verpflichten, für völlige Transparenz in allen Lieferketten zu sorgen.  

    Unternehmen preisen eigene Hilfsprogramme für Kinder an

    Barry Callebaut, Mars Wrigley, Nestlé und andere verweisen indes auf ihre Hilfsprogramme für Kakaobauern und Initiativen gegen Kinderarbeit: "Kinder sollen runter vom Feld und rein in die Schule", wie eine Nestlé-Sprecherin es formuliert.
    Friedel Hütz-Adams, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Südwind-Instituts, kritisiert hingegen: "Die Hilfsprogramme für Kakaobauern in Existenznot erreichen nur einen kleinen Teil der Menschen, die tatsächlich Hilfe benötigen." Es sei "definitiv zu wenig, um auf breiter Ebene einen echten Verbesserungseffekt zu haben".

    Kritiker: Konzerne handeln "schizophren" und effektlos

    Marktexperte Hütz-Adams bezeichnet es zudem als "schizophren", dass sich "die Hersteller weigern, höhere Preise zu zahlen mit dem Argument, sie würden so hinter die Konkurrenz zurückfallen –-gleichzeitig aber die Unternehmen irgendwelche eigenen Hilfsprogramme entwickeln, die die schlimmsten Folgen ihrer Einkaufspraxis bei den Rohstoffproduzenten etwas mildern sollen".
    Preiszusammensetzung pro Kilo Schokolade
    ZDFheute Infografik
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    Auch andere Beobachter kritisieren: Gemessen an den Jahresumsätzen der Schokoladenindustrie seien die Ausgaben für den Kampf gegen Kinderarbeit verschwindend gering.
    Santadarshan Sadhu, der sich als Wissenschaftler am NORC-Institut der Universität Chicago seit Jahren unter anderem mit der Kakaoindustrie auseinandersetzt, entwirft ein eindrückliches Bild über den möglichen Effekt der Hilfsprogramme:

    Es ist, als würde man einen Eimer heißes Wasser in ein großes, kaltes Schwimmbecken gießen - die Menschen im Pool spüren keine Erwärmung.

    Santadarshan Sadhu, Wissenschaftler am NORC-Institut

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