Ein bisher geheimes Kirchendokument wirft Papst Benedikt XVI. vor, seine Pflichten zur Aufklärung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche verletzt zu haben.
Markus Elstner war 11 Jahre alt und Messdiener in Bottrop, als es passierte. Damals Ende der 70er Jahre nahm Priester Peter H. ihn mit in seine Wohnung und schenkte Wein ein. Elstner erinnert sich an das, was dann geschah: "Dann hat er mich halt auch angefasst. Und er hat mir an mir gezeigt, was ich bei ihm machen soll. Also, ich musste ihn dann oral befriedigen."
Elstner ist damals nicht das einzige Missbrauchsopfer. Doch anstatt Priester H. damals anzuzeigen oder zu entlassen, soll er eine Therapie machen und regelmäßig zum Psychiater. 1980 wird der Priester versetzt - vom Bistum Essen ins Bistum München-Freising. Erzbischof war dort damals Kardinal Joseph Ratzinger.
Schwere Vorwürfe gegen Ex-Papst Benedikt XVI.
Der spätere Papst Benedikt XVI. müsse von den Taten des Priesters H. gewusst haben. So steht es in einem bisher geheim gehaltenen Dokument, aus dem die Wochenzeitung "Die Zeit" jetzt ausführlich berichtet. Das Dokument ist ein außergerichtliches Dekret des Kirchengerichts der Erzdiözese München und Freising vom Mai 2016.
Auf Seite 35 heißt es:
Auch nach seiner Versetzung missbrauchte Priester Peter H. weiter Jungen sexuell. 1986 verurteilt ihn das Amtsgericht Ebersberg zu 18 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Die katholische Kirche hält an ihm fest, versetzt ihn erneut, nach Garching an der Alz. Das berichteten das ZDF-Magazin Frontal und das Recherchenetzwerk correctiv im November 2020.
Sehen Sie hier die gemeinsame Recherche von Frontal und correctiv "Die Kirche und der Missbrauch" in voller Länge:
Kirchendokument: Ratzinger habe auf Sanktionierung verzichtet
Ratzinger ging 1982 nach Rom als Chef der Glaubenskongregation. An die mächtigste Behörde des Vatikans müssen Bischöfe schwere Missbrauchsfälle melden. Ratzinger habe diese Pflicht versäumt. So steht es im Kirchendokument, das auch der ZDF-Redaktion Frontal vorliegt. Dort heißt es zu Ratzinger und anderen mit dem Fall des pädophilen Priesters befassten Kirchenoberen:
Auf Nachfrage von Frontal teilte Georg Gänswein, Privatsekretär des Papst em. Benedikt XVI., mit, Ratzinger habe keine Kenntnis von der Vorgeschichte des Priesters gehabt. "Da er von den Vorwürfen sexueller Übergriffe keine Kenntnis hatte, bestand auch keine Pflicht zur Meldung nach Rom, die er hätte verletzen können."
Alle Akten zum Fall des Priesters H. seien bereitgestellt worden, teilt das Bistum auf ZDF-Nachfrage mit.
Zweites Missbrauchsgutachten aus München erwartet
Klarheit um Verantwortung und Umgang des Erzbistums München und Freising mit dem Fall Peter H. könnte schon bald ein Gutachten bringen: In der Woche vom 17. bis 21. Januar soll eine Untersuchung der Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl (WSW) veröffentlicht werden.
Darum geht es im Münchner Missbrauchsgutachten
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Kirchenrechtler: Ratzinger hat "kirchenrechtswidrig gehandelt"
Prof. Bernhard Anuth von der Universität Tübingen konnte das Kirchendekret einsehen. Das bisher geheime Dokument ist für den Kirchenrechtler "kirchenpolitischer Sprengstoff, weil hier dokumentiert ist, dass die Kirche sich nicht um die Betroffenen sexuellen Missbrauchs, also nicht um die Kinder und Jugendlichen gekümmert hat, sondern das Interesse dem Schutz des Rufes Kirche und dem Kleriker-Täter galt." Der damalige Erzbischof Ratzinger habe gegen Kirchenrecht verstoßen.
Auch habe er den Fall auch nicht nach Rom gemeldet, "was seine Pflicht gewesen wäre" und insofern habe Ratzinger "kirchenrechtswidrig gehandelt".
Missbrauchsopfer Stefan schreibt in Bittbuch
In Garching an der Alz steht eine kleine Kapelle. Eines der Opfer muss damals hierhergekommen sein, allein mit seinem Schmerz. An die Gottesmutter Maria wendet sich ein Junge in seiner Verzweiflung und schreibt in das ausliegende Bittbuch: "Die sexuele Belestigung (sic) soll aufhören. Dein Stefan."
- Missbrauch in der katholischen Kirche
Die römisch-katholische Kirche wird in ihren Reihen vom jahrzehntelangen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen erschüttert. Die Aufarbeitung ist umstritten.