Vor dem Landgericht Köln begann heute das Verfahren über Schmerzensgeldansprüche eines Missbrauchsbetroffenen gegen das Erzbistum. Es ist ein Präzedenzfall - mit Erfolgsaussichten.
In Köln hat der Prozess im Missbrauchsfall Wermelskirchen begonnen. Angeklagt ist ein Mann, der jahrelang als Babysitter gearbeitet hat und Kinder sexuell missbraucht haben soll.
Als Jugendlicher wurde Georg Menne von einem Pfarrer sexuell missbraucht, über sieben Jahre hinweg. Er ist nun der erste, der nicht einen konkreten Täter, sondern die Kirche als Institution verklagt. Diese habe ihre Amtspflichten verletzt, indem sie den Missbrauch möglich machte.
In der heutigen Verhandlung stellte der Vorsitzende Richter am Landgericht Singbartl fest, dass an dem Schmerzensgeldanspruch an sich keine Zweifel bestehen. Auch das Erzbistum bestreitet die Missbrauchstaten nicht. Bezüglich der Höhe der Forderung wollte sich die Kammer allerdings nicht festlegen. Ein sechsstelliger Betrag dürfte nach den bisherigen Äußerungen von Richter Singbartl nicht unrealistisch sein. Für Menne und seine Rechtsanwälte ist das ein großer Erfolg.
Die Geschichte von Georg Menne können Sie hier ausführlich nachlesen.
Georg Menne ist Missbrauchsbetroffener. Der Täter: Ein Pfarrer. Menne kämpft nun für Schmerzensgeld. In frontal erzählt er seine Geschichte.
Erzbistum beruft sich nicht auf Verjährung
Lange sah es so aus, dass die Klage von Menne abgewiesen werden könnte. Denn die Ansprüche von Menne - und die der meisten anderen Opfer - sind verjährt. Auch im Fall von Menne berief sich das Erzbistum zunächst auf Verjährung - die Erfolgsaussichten der Klage waren damit völlig offen.
Am Abend vor dem Prozessauftakt dann die große Überraschung: Das Erzbistum Köln verzichtet auf die Geltendmachung der Verjährung. Kardinal Rainer Maria Woelki erklärt:
Damit stellte er zugleich klar: Die Kirche wird nicht in allen Missbrauchsfällen davon absehen, die Verjährung geltend zu machen. Im Fall Menne aber ist man bereit, sich der Verantwortung zu stellen.
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Gute Beweislage wegen Geständnis
Als sein Vater starb, fand Menne Halt in der Kirche. Der Pfarrer, der mittlerweile verstorben ist, war für Menne die wichtigste Vertrauensperson. Er veranstaltete immer wieder Ministrantenfahrten in die Eifel, an denen auch Menne teilnahm. Über 35-mal war er mit dem Pfarrer in der Eifel, insgesamt waren es 46 Wochen. An jedem einzelnen Tag wurde er missbraucht.
Dennoch arbeitete er später für das Erzbistum Köln als Pastoralreferent und Seelsorger. Nach 37 Jahren hat er zum Ende des Jahres gekündigt. Menne hat jahrelang geschwiegen und den Täter geschützt. Er konnte sich von ihm nicht lösen, reiste mit ihm in den Urlaub, stellte ihm seine eigenen Kinder vor. Menne heiratete, gründete eine Familie. Doch die Vergangenheit holte ihn ein.
Bei der Vollversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt wurde drei Tage über notwendige Veränderungen gesprochen. Im kommenden März ist die Abschlusskonferenz geplant.
In einem Brief konfrontierte Menne den Pfarrer mit dem, was passiert war. Dieser gab sein Verhalten zu und entschuldigte sich. Der Brief könnte in dem Verfahren als Beweismittel dienen.
Bisher nur freiwillige Zahlungen der Kirche
Es ist nicht so, dass die Kirche bisher gar nicht reagiert hätte: Zum 1. Januar 2021 setzte die Deutsche Bischofskonferenz eine Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen ein, die über Anträge Betroffener entscheidet und die Leistungshöhe festlegt. Bei dieser sind über 2.000 Anträge auf Zahlungen für Opfer sexuellen Missbrauchs eingegangen, über 1.755 wurde bereits positiv entschieden.
Auch Menne erhielt Anerkennungsleistungen in Höhe von 25.000 Euro. Die Zahlungen sind jedoch kein Schmerzensgeld, sondern nur freiwillige Leistungen der Kirche. Ein Schuldeingeständnis ist damit nicht verbunden. Zudem bleiben die Leistungen weit hinter dem zurück, was das zivilrechtliche Schadensrecht vorsieht.
Tausende weitere Klagen möglich
Wie Menne geht es vielen Erwachsenen, die als Kinder in der katholischen Kirche missbraucht wurden. Hochrechnungen zufolge könnten bis zu 150.000 Betroffene Forderungen geltend machen. In vielen Fällen dürfte die Beweislage allerdings schlechter sein als im Fall Menne. Von dem Verfahren geht aber schon jetzt die Botschaft aus: Auch für lang zurückliegende Fälle können Missbrauchsopfer Schmerzensgeld einklagen.
Charlotte Greipl ist Rechtsreferendarin in der Redaktion Recht und Justiz.
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