Waldbesitzer bringt der Borkenkäfer schier zur Verzweiflung. Der Nationalpark Harz lässt ihn gewähren. Warum der Schädling helfen soll, einen neuen Ur-Wald aufzubauen.
Der Kies auf dem Wanderweg knirscht unter ihren Schuhen. Irgendwo hämmert ein Specht. Anja Fischer läuft durch eine fast apokalyptisch anmutende Kulisse: hell-silbrig schimmernde Baumstämme, tote Fichten so weit das Auge reicht.
Der ein oder andere Urlauber ist erstmal schockiert, wenn er den Nationalpark Harz betritt, erzählt die Rangerin. Fischer wacht seit 27 Jahren hier über Baum und Borke, kennt fast jeden Vogelruf und jedes Kraut. Doch nicht alles hier ist grau und abgestorben. Die Rangerin deutet auf das frische Grün zwischen den abgeknickten Fichten: "Das ist ein typischer Pionier-Wald. Wenn irgendwo kein Wald steht, dann kommt zuerst die Birke dazu und hier haben wir sogar noch eine Eberesche dazwischen. Sie ist typisch für diese Gegend."
Kahlschlag seit Jahrhunderten
Im Nationalpark Harz lautet das Motto "Natur Natur sein lassen!" Keine Sägen, keine Äxte, Schadholz bleibt liegen, Schädlinge wie den Borkenkäfer lassen die Ranger in Ruhe weiterfressen. Für Förster und Waldbesitzer, die mit dem Rohstoff Holz Geld verdienen wollen, ein Horror-Szenario. Für Fischer dagegen gehört auch der Borkenkäfer zur Natur dazu. Der Kahlschlag ist für sie menschgemacht. "Wir haben dem Buchdrucker hier nach dem Zweiten Weltkrieg ein riesiges Buffet aufgetischt", sagt sie.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Besatzungsmächte Reparationszahlungen verlangt und fast das gesamte Holz eingefordert. Der Harz war kahl und musste wiederaufgeforstet werden. "Und seit Jahrhunderten hat man das hier im Harz, schon während des Bergbaus, immer mit Fichte gemacht", erklärt die Rangerin. Fichten wachsen schnell. Außerdem sind sie ein universelles Bauholz.
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Wetterextreme machen dem Wald zu schaffen
Aus dem ursprünglichen Mischwald im Harz, der unter anderem aus Buchen, Birken, Eichen, Ebereschen, Tannen und Fichten bestand, wurde eine Fichten-Monokultur. Es ging so lange gut, bis die Wetterextreme kamen: Diverse Stürme, dann der Rekordhitzesommer 2018. Durch die Trockenheit konnten die Fichten nur noch wenig Harz produzieren. Normalerweise schwemmen sie damit Schädlinge wie den Borkenkäfer einfach aus. So konnte sich der Käfer explosionsartig vermehren. Das vom Menschen aufgetischte Festbankett fraß er leer.
Anja Fischer trauert den Baumleichen nicht groß hinterher. Der Borkenkäfer vernichte nur, was hier sowieso unnatürlich sei:
Waldumbau als Chance für die Artenvielfalt
Im Nationalpark sollen stattdessen die ursprünglich vorkommenden Baumarten wieder die Oberhand gewinnen. Auch in den bleichen Fichten-Stämmen entsteht heute neues Leben. Waldameisen etwa nutzen Totholz als Brutstätte. Zahlreiche seltene Insektenarten sind bereits wieder in den Nationalpark zurückgekehrt. Es summt zwischen Himbeerranken, Kräutern und den vielen Blühpflanzen.
Der Waldumbau sei eine riesige Chance für die Artenvielfalt, freut sich die Rangerin und zeigt einen Wald-Abschnitt, der aus einem dichten frühlingsgrünen Blätterdom besteht. "Das ist ein Buchenwald, wie wir ihn uns für die Zukunft vorstellen, wie er früher mal gewesen ist - mit alten Buchen, mit jungen Buchen, mit ganz kleinen Buchen von diesem Jahr. Aber untermischt mit Bergahorn in den höheren Lagen, oder auch mal mit Eschen dazwischen." Eine Art Ur-Wald entsteht hier gerade. Im Mittelhochdeutschen hieß Harz noch Hart und meinte "Bergwald, raue Gegend". Der Harz befindet sich im Wandel. Im Nationalpark kann man derzeit dabei zusehen, wie aus der Fichten-Monokultur wieder eine Bergwildnis entsteht.
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von Moritz Zajonz