Auch nach dem Beschluss sind die Richter des ersten Senats am Bundesverfassungsgericht nicht zur obersten Klimaschutzinstanz geworden. Klimaschutz bleibt Aufgabe der Politik.
Das Bundesverfassungsgericht hat das getan, wozu es berufen ist: Unsere Grundrechte schützen und garantieren. Also haben sich die Richter am Artikel 20a unseres Grundgesetzes orientiert und die Auslegung konkretisiert. Klimaschutz ist ja bereits ein verfassungsrechtliches Ziel.
Um es zu erreichen, hat die Bundesregierung 2019 ein Klimaschutzgesetz erlassen. Das regelt verbindlich, wie die einzelnen Sektoren -z.B. Industrie, Verkehr, Landwirtschaft- ihren Treibhausgasausstoß so senken müssen, dass Ende des Jahres 2030 eine Minderung von insgesamt 55 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 1990 erreicht ist.
Szenarien für Zeit nach 2030 fehlen
Die Richter bemängeln nun, dass das Gesetz keine konkreten Reduktionszenarien über das Jahr 2030 hinaus festschreibt. Und hier setzt der Beschluss an. Denn klar ist, dass die letzten Reduktionsprozente die sind, die die meisten Anstrengungen und möglicherweise auch die tiefgreifendsten Entbehrungen verlangen.
Betroffen sind die folgenden Generationen, so wie die jungen Klägerinnen und Kläger. Auf sie kämen demnach Klimaschutzlasten zu, die unvertretbar hoch und unzumutbar wären. Genau das, so das Bundesverfassungsgericht, verletzt die Beschwerdeführer in ihren Freiheitsrechten.
Klageflut und 'grüne' Wirtschaft
Jahrzehntelang betrachteten Regierungen und Lobbyisten den Klimawandel wie eine lästige Grippe, die, wenn man sie mit bekannten Hausmitteln tapfer behandelte, auch schnell wieder verschwinden würde. In Deutschland tendieren die Spielräume, sich um Klimaschutz herum zu mogeln, nun gegen Null.
Der Beschluss eröffnet eine ganze Bandbreite von neuen Klagemöglichkeiten, wann immer jemand der Meinung ist, ein Betrieb, eine Kommune, eine Stadt etc. würde zu wenig für den Klimaschutz tun. Klar ist auch, dass Klimaschutz in homöopathischen Dosen nicht funktioniert. Es bleibt das, was Wissenschaftler, Umwelt- und Klimaschutzaktivisten und einige wenige politische Kräfte seit vielen Jahren fordern: Vor allem den kompletten Umbau der Wirtschaft auf Basis erneuerbarer Energie.
Unbequemes Klima-Erbe
Das Bundesverfassungsgericht hat nun den Gesetzgeber verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln. Schlägt das auf den Wahlkampf durch, könnte der Stern der beiden großen, sogenannten Volksparteien nicht nur sinken, sondern als Sternschnuppe in der CO-getränkten Atmosphäre verglühen. Wobei eine nächste Regierung so oder so ein unbequemes Erbe antritt.
Denn bis die Wirtschaft 'grün' tickt, werden erhebliche Kosten anfallen. Doch Deutschland steckt schon tief in den Schulden. Noch mehr Kredit für Klimaschutz? Auch diese Last abzutragen, läuft auf die kommenden Generationen zu. Jetzt rächt sich, dass im Zuge der milliardenschweren Corona-Hilfen so gut wie keine Klimaschutzauflagen festgelegt wurden.
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Maßstab für weltweite Klimadiplomatie
Was sich abzeichnet, ist ein Klimaschutz-Dilemma, auf dessen Auflösung man gespannt sein darf. Auch deswegen, weil Deutschland derzeit mit weniger als zwei Prozent zum weltweiten Treibhausgas-Ausstoß beiträgt. Heißt übersetzt: Selbst, wenn hierzulande ein schärferes Klimaschutzgesetz demnächst greift, stoppt das den Klimawandel nicht.
Jetzt muss es darum gehen, die Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts im Sinne der Generationengerechtigkeit zu verbreiten. Als Maßstab für die weltweite Klimadiplomatie. Die erste Chance dazu bietet sich schon in der kommenden Woche. Am 6. Mai treffen sich auf Ministerebene klimapolitische Entscheider aus aller Welt zum Petersberger Klimadialog, um die nächste UN-Klimakonferenz im November vorzubereiten. Bisher nicht eingeladen: Die Richter aus Karlsruhe.