Wie der Krieg in der Ukraine die Klimaziele beeinflusst

    Interview

    Kohleenergie vs. Klimaschutz:Wie der Krieg die Klimaziele beeinflusst

    09.07.2022 | 15:20
    |

    Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Der russische Angriffskrieg stellt nun einiges in Frage – aber längst nicht alles, sagt der Klimaökonom Michael Pahle im Interview.

    Archiv: Rauch und Dampf steigen aus den Kühltürmen und Schornsteinen des Braunkohlekraftwerks Niederaussem
    Der Krieg wirft die Bemühungen um Klimaschutz und Energiewende zurück - "zumindest temporär", sagt Klimaexperte Pahle.
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Um die Klimakrise zu stoppen, müssen wir die klimaschädlichen Emissionen möglichst schnell reduzieren. Nun sollen in Deutschland Kohlekraftwerke aus der Reserve wieder ans Netz gehen. Stoppt der russische Angriffskrieg die Klimaschutzbemühungen?
    Michael Pahle: Er wirft sie ein Stück weit zurück, zumindest temporär. Wir wissen nicht genau, wie lange der Engpass an Gas anhält. Wenn dies nur einen kurzen Zeitraum betrifft, dann kann man aus Klimasicht in gewisser Weise ein Auge zudrücken. Die zusätzlichen Emissionen, die mit der Kohle entstehen, fallen auf europäischer Ebene und mit Blick auf das gesamte Jahrzehnt relativ wenig ins Gewicht. Wenn sich das allerdings noch länger hinzieht, dann muss man die Frage nochmal neu beurteilen.
    ZDFheute: Ab wann würde es aus Ihrer Sicht anfangen, kritisch zu werden?
    Pahle: Kohle und Gas sind bei der Strom- und Energieerzeugung unter dem Deckel des europäischen Emissionshandels. Das heißt: Es gibt eine begrenzte Menge an Zertifikaten, die identisch ist mit der Menge, die wir bis zum Ziel der Klimaneutralität maximal emittieren können. Aktuell haben wir noch einen Überschuss an Zertifikaten, die wir in der Vergangenheit nicht verbraucht haben. Innerhalb dieses Puffers kann eine zeitweise höhere Kohleverstromung noch gut untergebracht werden. Aber bis 2024 wird er abgebaut werden, so wie wir das für den Klimaschutz eigentlich auch wollen. Dann wird die Abwägung zwischen Energiesicherheit und Klimaschutz brisant werden.

    Michael Pahle
    Michael Pahle
    Quelle: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

    ... ist Leiter der Arbeitsgruppe "Klima- und Energiepolitik" beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.  

    ZDFheute: Ist der Puffer, von dem Sie sprechen, mit dem 1,5-Grad-Ziel konform?
    Pahle: Dieser Puffer ist im Hinblick auf die Klimaziele von geringer Bedeutung. Er macht nur ungefähr fünf Prozent des verbleidenden Emissionsbudget im Emissionshandel bis zum Jahr 2030 aus. Voraussichtlich wird auch nur ein Teil des Puffers zur Überbrückung der Krise benötigt, und der Rest wird abgebaut. Längerfristig gesehen ist das zugespitzt gesagt also ein Klacks.
    ZDFheute: Statt Gas aus Russland soll Flüssigerdgas importiert werden, das zum Beispiel aus Fracking in den USA stammt. Welchen Einfluss hat das auf das Klima?
    Pahle: Die wenigen Länder, die jetzt Gas für Europa anbieten, können sich die Konditionen derzeit quasi aussuchen. Es kann gut sein, dass wir Flüssiggas für die nächsten zehn bis 20 Jahre abnehmen müssen und auch nicht weiterverkaufen dürfen. Das heißt: Wir würden uns mit einem solchen Liefervertrag einen schweren Rucksack einkaufen, den wir dann klimapolitisch mitschleppen müssten.
    Ist ein Zurück zur Atomkraft eine Lösung, um die Klimakatastrophe abzuwenden und unabhängig von russischen Energieimporten zu werden? SPD und Grüne sind dagegen, die FDP ist gesprächsbereit. 29.06.2022 | 1:54 min
    ZDFheute: Die EU will die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent reduzieren und bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Sind diese Ziele aus Ihrer Sicht überhaupt noch erreichbar?
    Pahle: Wenn wir uns die Modellanalysen dazu anschauen, ist das technologisch und ökonomisch durchaus machbar. Was an politischen Plänen dazu vorliegt, ist ebenfalls sehr vielversprechend: die Ausweitung und Reform des Emissionshandels, strengere Emissionsstandards für Autos, ein schnellerer Ausbau von Erneuerbaren und grünem Wasserstoff, sowie mehr Energieeffizienz. Die große Frage ist, ob die Politik das am Ende auch liefern kann.
    ZDFheute: Worauf wird es ankommen?
    Pahle: Einer der Knackpunkte wird es sein, die Erneuerbaren auch so schnell ausbauen zu können. Das betrifft vor allem die Windenergie, wo Einschnitte im Naturschutz gemacht werden müssen: Wir können nicht mehr jeden Rotmilan schützen und müssen auch in Wäldern bauen. Das wird gesellschaftlich herausfordernd werden, aber wenn die Politik es gut und verständlich erklärt, wird es dafür sicher eine breite gesellschaftliche Unterstützung geben – zumal der Naturschutz ja nicht gänzlich aufgegeben wird.

    Ende kostenloser Zertifikate
    :CO2-Emissionshandel: EU-Parlament einigt sich

    Das Europaparlament hat sich nach langer Debatte auf einen Kompromiss beim Emissionshandel geeinigt. Kostenlose CO2-Zertifikate sollen demnach bis 2032 auslaufen.
    Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde, Brandenburg
    ZDFheute: Wie kann Klimaschutz gesellschaftspolitisch gelingen?
    Pahle: Am Ende ist die soziale Frage die entscheidende. Klimaschutz kostet – und gerade Personen mit niedrigen Einkommen werden das spüren. Für diese Gruppe braucht es gezielte Ausgleichslösungen, und nicht wie in der aktuellen Energiekrise ein Senkung der Preise mit der Gießkanne. Die große politische Frage wird daher sein, ob die Politik sich dazu durchringen kann, klimaschädliches Verhalten mit einem hohen Preis zu belegen und nur gezielt zu kompensieren. Im Vergleich mit den erheblichen Folgen des Klimawandels, die sonst drohen, sollte das ein lösbare Aufgabe sein.
    Das Interview führte Christian Deker, ZDF-Umweltredaktion