Krankenhaus in Charkiw: Ärzte im Kriegsgebiet der Ukraine

    Krankenhaus in Charkiw:Kampf gegen den Krebs - mitten im Krieg

    Jenifer Girke
    von Jenifer Girke
    19.03.2022 | 18:02
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    Krebs macht auch vor Krieg keinen Halt. Die Patienten von Oksana brauchen dringend ihre Medikamente. Dafür begibt sich die Radiologin in Charkiw täglich in Lebensgefahr.

    Hochzeit in einem Krankenhaus in Charkiw. Marina und Sergey sind Ärzte und seit 15 Jahren ein Paar. Sie behandeln krebskranke Menschen - wie die meisten ihrer Hochzeitsgäste.
    Oksana ist eine von ihnen. Die 44-jährige Radiologin ist Marinas Trauzeugin - innerhalb von zwei Tagen hat sie die Hochzeit organisiert. Einfach mal glücklich sein, feiern - mitten im Krieg.

    Heiraten im Krieg

    Ganz in Weiß, mit kleinem Schleier, Spitze und Tüll, festlich geschminkt, die Haare hochgesteckt - Marina sieht aus wie eine ganz normale, wunderschöne Braut. Doch die Umstände dieser Hochzeit sind alles andere als normal oder romantisch.
    Plötzlich gibt es Explosionsgeräusche - mitten in der Segnung. Der ukrainisch-orthodoxe Priester betet weiter, doch die Bomben sind deutlich im Hintergrund zu hören und zu spüren. Und trotzdem: Die Braut lächelt weiter. Sie will sich diesen Moment nicht nehmen lassen.
    Viel Zeit zum Feiern bleibt nicht: Kurz nach der Hochzeit sind Braut, Bräutigam, Trauzeugin Oksana und der Rest des Krankenhausteams wieder im Einsatz für die Patientinnen und Patienten.

    Ärzteteam unter Beschuss

    Am nächsten Tag sind wir mit Oksana zu einem Videotelefonat verabredet. Doch sie ist nicht online, stundenlang gibt es kein Lebenszeichen von ihr. Die Angriffe russischer Streitkräfte auf ukrainische Städte haben in den vergangenen Tagen stark zugenommen, auch in Charkiw.
    Karte, Ukraine - 15.03.2022
    Charkiw liegt im stark umkämpften Norden der Ukraine.
    Quelle: ZDF

    Wer kann, versteckt sich in Schutzbunkern. Oksana und ihr Team nicht - sie machen auch bei Bombenalarm Hausbesuche, versorgen KrebspatientInnen mit unverzichtbaren Medikamenten. Und begeben sich damit ständig in Lebensgefahr. Spätabends endlich eine Nachricht von Oksana:

    Heute haben sie uns heftig angegriffen. Es sind noch nicht alle von uns zurück, falls sie heute überhaupt wiederkommen.

    Oksana, Ärztin in Charkiw, Ukraine

    Oksana und ihre Kolleginnen und Kollegen haben überlebt und sind unversehrt.

    "Wir bleiben bei den Patienten"

    "Nein, ich würde niemals weggehen. Ich bin doch Ärztin, meine Patienten sind hier und das ist meine Stadt", erzählt Oksana. Chefarzt und Onkologe Sergey fügt hinzu:

    Den Patienten geht es sehr schlecht, vor allem die wir nicht mehr gut genug behandeln können. Ohne Medikamente breitet sich der Krebs aus und sie sterben wahrscheinlich daran.

    Sergey, Onkologe in Charkiw

    Die meisten ihrer Patienten sind an Prostata oder Brustkrebs erkrankt. Dreißig werden stationär behandelt. Der 21-jährige Vladimir fügt hinzu:

    Auch wenn die Stadt bombardiert wird, es Explosionen gibt, wir Angst haben oder es gefährlich wird: Wir bleiben bei den Patienten.

    Vladimir, Krankenhaustechniker in Charkiw

    Vladimir ist dafür zuständig, dass alle Geräte im Krankenhaus funktionieren. Dazu gehört das MRT - extrem wichtig für die Krebsdiagnostik: "Wenn wir angegriffen werden und der Strom ausfällt, rennen wir sofort zum MRT und müssen es schnellstmöglich wieder zum Laufen bringen. Wenn es zu lange nicht mit Strom versorgt wird, funktioniert es nicht mehr. Aber das hier ist das einzige MRT der gesamten Region, das den Krieg überhaupt überlebt hat - bis jetzt."

    Hoffnung mitten im Krieg

    Die Ärzte tun, was sie können. Doch die Medikamente werden knapp. Operationen sind nicht mehr möglich. "Unser OP-Saal ist im dritten Stock", sagt Sergey.

    Wenn es Luftangriffe während er OP gibt, wird es extrem gefährlich für die Patienten.

    Sergey, Onkologe im Kriegsgebiet

    Vladimir fügt nüchtern hinzu: "Ja, die wären alle tot."
    Charkiw zu verlassen, war und ist keine Option. Sie bleiben und kämpfen für ihre Patienten, so lange sie können. Und schaffen sich in all dem Leid unvergessliche Momente. "Als wir fürs Hochzeit-Shooting draußen waren, haben die Menschen angefangen zu lächeln und fragten: Macht ihr das wirklich?", erzählt Vladimir. Oksana seufzt: "Wir wollten einfach mal eine kurze Pause vom Krieg und ein bisschen Hoffnung schenken."
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