Allein im Flüchtlingsheim: Gericht kippt Geldkürzungen

    Alleinstehend im Flüchtlingsheim:Leistungskürzungen sind verfassungswidrig

    von Charlotte Greipl
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    Sozialleistungen für Asylsuchende in Sammelunterkünften dürfen nicht gekürzt werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Andernfalls sei das Existenzminimum nicht gesichert.

    Flüchtlinge vor einer Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt
    Wer alleine in einem Flüchtlingsheim lebt, darf nicht weniger Geld bekommen. Das hat das Bundesverfassungsgericht enschieden.
    Quelle: dpa

    "330 Euro sind einfach zu wenig für einen Menschen hier in Deutschland," meint Kamalraj G., der 2014 aus Sri Lanka nach Deutschland kam und das Verfahren angestoßen hat. Das Bundesverfassungsgericht folgte dem und entschied nun, dass Sozialleistungen für Asylsuchende, die allein in Sammelunterkünften leben und sich seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig in Deutschland aufhalten, nicht mehr um zehn Prozent gekürzt werden dürfen.
    Die Betroffenen wurden in der Vergangenheit Personen gleichgestellt, die verheiratet sind oder mit ihrem Partner zusammenleben. Die Leistungskürzung führte zu einem Abzug von monatlich 37 Euro.

    Spareffekte durch gemeinsames Kochen in Sammelunterkunft?

    Die damalige Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD führte die entsprechende Regelung zum 1. September 2019 ein. Die Überlegung: In den Sammelunterkünften könnten die Bewohner*innen gemeinsam kochen und einkaufen und dadurch Geld sparen. In der Gesetzesbegründung hieß es, Einspareffekte bestünden zum Beispiel, "indem Lebensmittel oder zumindest der Küchengrundbedarf in größeren Mengen gemeinsam eingekauft und in den Gemeinschaftsküchen gemeinsam genutzt werden". Aber das stimmt mit der Realität wohl oft nicht überein.
    "Man kann nicht mit fremden Menschen aus verschiedensten Ländern, Kulturen, Religionen und Sprachen zusammen einkaufen und essen", erklärte Kamalraj G. gegenüber der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die ihn in dem Verfahren unterstützte. Er wurde in seiner Heimat als Tamile verfolgt, saß lange im Gefängnis. Seit acht Jahren lebt er in einer Gemeinschaftsunterkunft in der Nähe von Düsseldorf. Mittlerweile hat er ein gesichertes Aufenthaltsrecht und arbeitet.

    Die Regierung sollte sich mal anschauen wie die Realität in den Unterkünften ist.

    Kamalraj G., kam 2014 aus Sri Lanka nach Deutschland

    Warum das Zusammenleben in einem Flüchtlingsheim Geld sparen sollte, versteht er nicht: "Wir haben ganz unterschiedliche Essgewohnheiten. Ich bin Hindu und esse kein Rind und faste regelmäßig. Dann esse ich nur einmal abends vegetarisch. Meine Mitbewohner haben eine ganz andere Esskultur. Sie essen Lebensmittel, die ich niemals essen kann. Wie soll man diese unterschiedlichen Bedürfnisse organisieren? Das würde nur zu Konflikten führen."

    Bundesverfassungsgericht: Existenzminimum nicht mehr gesichert

    Das Gericht gab Kamalraj G. recht. Die Leistungskürzungen verstoßen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, urteilten die Karlsruher Richter*innen. Es gebe keine Erkenntnisse dazu, dass Alleinstehende in Sammelunterkünften generell einen geringeren Bedarf hätten als Alleinstehende in einer eigenen Wohnung. Gekürzt werden darf nur, wenn der Bedarf an existenzsichernden Leistungen nachweisbar geringer ist.
    Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Bemessung künftiger Leistungen zu berücksichtigen. Betroffene können aber auch rückwirkend ab September 2019 Nachzahlungen erhalten, wenn ihr Leistungsbescheid noch nicht rechtskräftig ist. Das setzt voraus, dass sie sich gegen den Bescheid rechtlich gewehrt haben.
    Die Entscheidung betrifft zunächst nur Erwachsene, die sich seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Sarah Lincoln, Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, geht jedoch davon aus, dass die heutige Entscheidung auch für Geflüchtete gilt, die sich die ersten 18 Monate in einer Sammelunterkunft befinden. Denn auch diese erhalten zehn Prozent weniger Leistungen. Die Botschaft, die von der Entscheidung ausgeht, ist laut Lincoln jedenfalls eindeutig:

    Schutzsuchende haben das Recht auf eine menschenwürdige Existenz, also auch auf eine finanzielle Unterstützung, die zum Leben reicht. Das gilt umso mehr, als viele Geflüchtete zunächst nicht arbeiten dürfen.

    Sarah Lincoln, Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte

    Charlotte Greipl ist Rechtsreferendarin in der Redaktion Recht und Justiz.

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