Ganz Europa blickt auf die Ukraine. Wie erleben die an Russland und die Ukraine angrenzenden Länder den Angriffskrieg Russlands? Kulturschaffende geben einen Einblick.
Regisseurin Agnieszka Holland fällt vor allem die riesige Hilfsbereitschaft in ihrem Heimatland Polen gegenüber den Flüchtenden aus der Ukraine auf:
"Bei allen meinen Bekannten sind Ukrainer untergekommen", erzählt sie. "Ich selbst werde nun für ein paar Monate ins Ausland reisen und meine kleine Warschauer Wohnung auch einer ukrainischen Familie zur Verfügung stellen."
Slowakei: Situation anders als 2015
Der slowakische Journalist und Schriftsteller Michal Hvorecký stellt in der Slowakei eine veränderte politische Haltung fest im Vergleich zum Sommer 2015, als Geflüchtete aus anderen Ländern versuchten, in die EU einzureisen:
Jetzt, sieben Jahre später, sei es ganz anders, so Hvorecký: "Die Slowakei hat in drei Wochen 250.000 Flüchtlinge aufgenommen."
Krieg in Europa: Die Nachbarstaaten der Ukraine bangen zwischen Solidarität und Kriegsangst. So auch der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky.
Unterschiedlicher Umgang mit Geflüchteten
Agnieszka Holland nimmt ebenfalls einen unterschiedlichen Umgang Polens mit den Flüchtlingen aus der Ukraine und aus anderen Ländern wahr. Das stimmt sie nachdenklich. Denn immerhin harren nach wie vor täglich, inzwischen weitgehend unbeachtet, Geflüchtete aus Ländern wie Syrien an der polnisch-belarussischen Grenze aus:
"Hier wirkt weiter die Propaganda, die die Flüchtlinge aufteilt in die richtigen und die falschen", kritisiert Holland.
Finnland: Wo auch Privatleute Waffen kaufen - für den Ernstfall
Ähnlich wie in Polen und der Slowakei ist auch in Finnland der Wunsch zu helfen riesig: Die finnische Star-Autorin Sofi Oksanen erzählt, dass gute Schutzwesten und Helme in Helsinki teils ausverkauft seien, weil Privatleute wie sie selbst derzeit massenhaft solche Hilfsgüter in die Ukraine schicken.
-
Doch auch sich selbst rüsten die Finnen für den Ernstfall, beobachtet Oksanen:
Krieg in Europa: Die Nachbarstaaten der Ukraine bangen mit, zwischen Solidarität und Kriegsangst. So auch die finnisch-estnische Schriftstellerin Sofi Oksanen.
Alte Wunden: Die "Finnlandisierung"
Das Land teilt mit Russland eine mehr als 1.300 Kilometer lange Grenze - und eine schwierige Vergangenheit: Eine alte Wunde in der finnischen Seele ist die sogenannte "Finnlandisierung". Der Begriff beschreibt die politische Unterwerfung unter den Willen eines stärkeren Nachbarlands, in Finnlands Fall war das die Sowjetunion.
"Im Ausland scheint man zu denken, das Wort bedeute ‚Neutralität‘. Das würden wir Finnen nie sagen", erklärt die 45-jährige.
Oksanen hofft, dass niemand die Finnlandisierung der Ukraine als friedlichen Ausweg anbietet: "Ein friedlicher Weg ist das nämlich absolut nicht", ist sie überzeugt.
Hvorecký: Slowakei als Mitglied der EU war "jahrzehntelanger Traum"
Die Slowakei war lange von der Sowjetunion okkupiert. Michal Hvorecký fasst zusammen: "Es dauerte 23 Jahre, bis die wieder weg waren. Also: Wir wissen, was das bringt, was für Zerstörung, wie die die Kultur kaputt gemacht haben, wie die uns politisch wieder auf einen totalitären Weg gebracht haben."
Den Blick mancher Europäer auf Länder wie die Slowakei oder auch die Ukraine sieht er kritisch:
"Diese Überzeugung: Mittelosteuropa, das gehört einfach automatisch in den russischen Machtbereich. Aber warum? Warum fragt man nicht die Menschen hier vor Ort?", gibt Michal Hvorecký zu bedenken. "Das war ja kein Zufall, dass wir Mitglieder der Europäischen Union geworden sind. Das war unser jahrzehntelanger Traum."
Den Traum von Europa, von einer Mitgliedschaft in der EU, träumen derzeit auch viele Ukrainer. Ob er wahr wird, steht derzeit noch in den Sternen.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
Liveblog- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.