Brücken bauen, wo Feinde kämpften: So will die serbische Donau-Stadt Novi Sad als eine der Kulturhauptstädte 2022 europäische Herzen gewinnen.
Selbst im tristen Winter leuchten überall bunte Ecken: großflächige Fresken an den Mauern, murals, wie es auf Insta-deutsch heißt. Streetart-Künstler Uroš Štrboja war der erste, der solche Bilder in Novi Sad an Häuserwände gebracht hat.
Eine seiner bekanntesten Arbeiten: das Portrait des serbischen Physikers Mihajlo Pupin. "Als Pupin sein Dorf in Serbien verlassen hat, um in die USA zu gehen, hat er seiner Mutter versprochen: Ich finde einen Weg, wie wir in Kontakt bleiben. Dann hat er die Technik fürs Telefonieren erfunden. Und damit sein Versprechen gehalten."
Krieg in Serbien hat Narben hinterlassen
1997 hat Uroš mit Graffitis angefangen. Eine Zeit, die vom Krieg geprägt war. Der bis heute Narben hinterlässt in den Seelen der Menschen. Seine neuesten Arbeiten zeigen Gesichter, die gleichzeitig lachen und weinen, ängstlich sind und wütend - "bipolaroid" ist der Titel. "Mein Künstlername ist Risiko", erzählt er. "Damals war es gefährlich auf den Straßen, es gab viele Waffen. Als Kind hat man Dinge gesehen, die man nicht sehen sollte."
Novi Sad hat viel erlebt. Die große Festung kündet von harten Schlachten in der Vergangenheit. Die Donau hat grausame Verbrechen gesehen.
Novi Sad investiert für Kulturhauptstadt-Jahr
Brücken bauen, wo Feinde kämpften, ist das Motto im Kulturhauptstadt-Jahr. Die Ungarn hatten hier geherrscht, die Türken und schließlich: die Habsburger. Das multikulturelle Mosaik der Stadt, gelebt auch zu Zeiten Jugoslawiens, hätte mehr Platz finden müssen im offiziellen Programm, ist eine derzeit oft gehörte Kritik. "Wer ist Serbien, wer ist nicht Serbien - das ist heutzutage der große Sport im Land. Und das ist nicht gut", beklagt Dokumentarfilmer Nenad Mikalački.
Er zeigt uns ein baufälliges Industrieviertel, in dem Novi Sad enorm investiert für das Kulturhauptstadt-Jahr. Im EU-Beitrittskandidaten-Land Serbien will man schließlich zeigen, dass der kulturelle Austausch nicht vor den Toren der EU enden darf.
Gentrifizierung bereitet Künstlern Sorge
Vor allem viele junge Leute träumen von einer Zukunft in der EU. Und viele sind frustriert, dass der Beitritt auf der Stelle steht, weil die serbische Regierung vor allem in Sachen Rechtstaatlichkeit hinter den Erwartungen der EU zurückbleibt.
Nenad Mikalački sieht die großen Sanierungsprojekte mit großem Unbehagen. "Dieses Viertel hier war mal ein Ort für Künstler. Doch wegen der Kulturhauptstadt wurden unabhängige Künstler rausgeworfen", erzählt er uns. Jetzt entsteht ein neuer Kulturkomplex, wie er auch in vielen anderen Städten der Welt zu finden ist. Die Gentrifizierung macht auch vor Novi Sad nicht Halt.
Bilder aussuchen fürs Museum
Für Besucher lohnt auf jeden Fall der Besuch im serbischen Kulturzentrum Matica Sprska. 43 Menschen durften nun das riesige Museumsdepot durchforsten und sich jeweils ein Bild aussuchen, das jetzt in der Ausstellung gezeigt wird.
Die Kuratorin Milica Milošević berichtet begeistert von dieser auch für Museumsmacher ungewöhnlichen Erfahrung: "Wir wollten wissen, was die Leute mögen! Das Museum ist für alle da. Und viele von denen, die hier Bilder ausgesucht haben, waren tatsächlich das erste Mal hier im Museum."
Donau-Stadt im Aufbruch
Auch die bekannte Dichterin Vitomirka Trebovac hat sich an dem Projekt beteiligt. Gleich um die Ecke ist ihr eigener Buchladen, Bulevar Books. Wo es auch ein Café gibt und Schallplatten und Bands treten auch immer mal wieder auf. Dort zeigt sie uns ein paar ihrer Gedichte. "Gedichte sind hier doch recht populär geworden", erzählt sie. Das hänge mit den sozialen Medien zusammen. "Da regiert die kurze Form. Die Leute haben keine Zeit mehr, Prosa zu lesen. Sie suchen kurze Texte, die sie persönlich berühren."
An jeder Ecke ist Kultur. Und auch wenn es im Winter ein bisschen grau ist: Novi Sad hat viel zu bieten, viel zu erzählen und viel zu erleben. Eine Donau-Stadt im Aufbruch.