Mobilitätsidee aus Westfalen: Linien-E-Carsharing statt ÖPNV

    Mobilitätsidee aus Westfalen :Linien-E-Carsharing statt ÖPNV

    Redakteur Lothar Becker, ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.
    von Lothar Becker
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    Rund die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt auf dem Land. Von einem funktionierenden öffentlichen Nahverkehr ist man dort weit entfernt. Die Problemlösung könnte "LEC" heißen.

    E-Car-Sharing auf dem Land
    Car-Sharing mit Stromern funktioniert in vielen Städten längst gut. Auf dem Land war das bisher so gut wie unmöglich. Das soll sich in Zukunft ändern.16.12.2022 | 2:36 min
    Borgholzhausen in Westfalen liegt an einer kleinen, einspurigen Bahnstrecke. Einige Tage lang sorgen Bauarbeiten an der Strecke im Dezember für den Komplettausfall der Zugverbindung, Ausweichstrecken gibt es nicht. Stattdessen fährt ein Bus die Bahnstrecke ab: Schienenersatzverkehr. Der ist deutlich länger unterwegs als der Zug, was die Zeitplanung für ÖPNV-Pendler strapaziert.
    Auch ohne Ausfälle ist ÖPNV in Borgholzhausen eine Herausforderung. Viele Menschen hier leben in teils Kilometer vom Stadtkern entfernten Siedlungen der Kommune.

    Ausbau von Linienverkehr im ländlichen Raum unrentabel

    Eine Linienbusverbindung lohnt nicht: zu wenige potenzielle Fahrgäste. Carsharing wäre auch wenig erfolgversprechend, da die Fahrzeuge zu weit verstreut abgestellt und für Folgekunden nicht erreichbar wären.
    In der Stadtverwaltung Borgholzhausen kam man aber auf die Idee, das Beste aus beiden Welten zu verbinden. Das Ergebnis: Ein Carsharing, das auf festgelegten Linien angeboten wird. Und weil die Fahrzeuge nachhaltig unterwegs sein sollten, entschieden sich die Macher für Elektrofahrzeuge. Fertig war das deutschlandweite ersten Linien-E-Carsharing - kurz LEC.

    Über ÖPNV-Ticket kostenlos E-Auto fahren

    Größtenteils gefördert vom Land Nordrhein-Westfalen konnte die Stadt Borgholzhausen im April mit insgesamt sechs LEC-Linien mit zwölf Haltepunkten ein deutschlandweit einmaliges Pilotprojekt starten.
    Menschen, die in der Stadt leben oder arbeiten, können die insgesamt zehn Fahrzeuge der LEC-Flotte kostenlos nutzen, wenn sie ein gültiges ÖPNV-Ticket besitzen. Sie müssen sich vorher registrieren. Führerschein und Personalausweis können digital hinterlegt werden.
    Die Kunden erhalten dann eine Chip-Karte, um die Fahrzeuge zu öffnen oder nutzen dafür einen PIN in Verbindung mit der zughörigen Smartphone-App.

    Carsharing mit festgelegten Haltestellen

    Peter Thoelen ist der Mobilitätsmanager der Stadt Borgholzhausen. "Das Besondere an dem Konzept ist", sagt er, "dass wir eine Linie definieren, einen Startpunkt und einen Endpunkt für wichtige Verbindungspunkte innerhalb der Stadt".

    Und auf dieser Linie können Kunden mit unseren Elektrofahrzeugen den Anschluss an den klassischen ÖPNV zurücklegen und zu allen Zeiten in ihre Siedlung kommen.

    Peter Thoelen, Mobilitätsmanager Stadt Borgholzhausen

    Über die App werden die Fahrzeuge jeweils vorab gebucht. Bis zu einer Stunde Vorlauf kann dabei nötig sein. Wenn am Startpunkt zur gewünschten Zeit kein Fahrzeug verfügbar ist, bringen Mitarbeitende der Betreiberfirma einen Kleinwagen oder Kleinbus zum gewünschten Termin dorthin. Ausreichend geladen, gereinigt und gecheckt, theoretisch rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Ein ungewöhnlicher hoher Serviceaufwand.

    Linien-E-Autos können auch gemietet werden

    "ÖPNV ist immer ein Zuschussgeschäft", sagt Thoelen, gerade in einer größtenteils ländlichen Kommune wie Borgholzhausen mit insgesamt 9.000 Einwohnern.
    Ein leerer Verkehrsbus von von Innen.
    In vielen ländlichen Regionen ist das Angebot im ÖPNV noch immer mau. Schnelle Abhilfe können sogenannte On-Demand-Verkehre sein, wie Busse auf Bestellung.12.11.2022 | 4:09 min
    Und doch soll das Projekt auch eine gewisse Wirtschaftlichkeit unter Beweis stellen. Dazu werden die Fahrzeuge, wenn sie nicht von Pendlern und ÖPNV Kunden gefragt sind, pro Kilometer Fahrtstrecke vermietet.
    Kunden können dann unabhängig von den Linienstrecken fahren und zahlen 45 Cent pro gefahrenem Kilometer. Diesen Tarif nutzen auch sogenannte Ankerkunden als Abonnement - Firmen und Institutionen wie zum Beispiel das Haus Ravensberg vom Deutschen Roten Kreuz.

    Auch Einrichtungen profitieren vom LEC-Projekt

    Die Pflege- und Betreuungseinrichtung fährt jeden Mittag rund drei Stunden lang ein Fahrzeug der LEC-Flotte und liefert damit Essen auf Rädern aus. Für Einrichtungsleiter Christoph Langewitz bieten die LEC-Fahrzeuge mehrere Vorteile:

    Es erspart uns sozusagen den Kauf eines neuen Autos inklusive der Reparaturen.

    Christoph Langewitz, Leiter Haus Ravensberg (DRK)

    "Das wird alles über die Kilometerpauschale, die wir fest bezahlen vergütet. Außerdem kann das Fahrzeug in der Zeit, in der wir es nicht brauchen von anderen Kunden gebucht und gefahren werden. Wir tun damit also auch der Umwelt etwas Gutes," ergänzt Langewitz.
    Die Mehrfachnutzung der Fahrzeuge und die Flexibilität für die Kunden könnte das Borgholzhausener Linien-E-Carsharing erfolgreich machen und damit auch attraktiv für andere ländliche Kommunen. Und gerade Attraktivität ist etwas, das dem ÖPNV vielerorts in Deutschland gut tun würde.
    Lothar Becker berichtet für die ZDFheute aus dem ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.

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