Eine exklusive Auswertung zeigt: Ex-EU-Kommissare lobbyierten fleißig - trotz Lobby-Verbots. An der Spitze: der deutsche Ex-Kommissar Günther Oettinger.
Für ehemalige EU-Kommissare gilt in Brüssel eine "Abkühlphase": nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt dauert diese Übergangsphase zwei Jahre, in denen sie - eigentlich - keine Lobbytätigkeiten übernehmen dürfen. So steht es im Verhaltenskodex der Kommission.
Mit der Regel soll verhindert werden, dass ehemalige Kommissarinnen und Kommissare ihre Adressbücher zu Geld machen - und alte Kontakte im Sinne neuer Auftraggeber beeinflussen.
Reihenweise problematische Nebentätigkeiten
Für die Kommission von Jean-Claude Juncker, mit dem ehemaligen deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger, endet diese "Abkühlphase" erst nächste Woche, am 1. Dezember. Doch eine Auswertung der Grünen im Europaparlament, die dem ZDF exklusiv vorliegt, zeigt: Ans Abkühlen war schon vorher kaum zu denken.
Tatsächlich meldeten die ehemaligen Kommissare in den vergangenen 24 Monaten 99 Jobs an. Darunter finden sich viele unproblematische Beschäftigungen, etwa an Universitäten. Aber: Ganze 32 Jobs bei Organisationen, die im EU-Transparenzregister eingetragen sind - die also ganz offiziell auf EU-Ebene Lobbyarbeit machen. An der Spitze der Liste steht der ehemalige deutsche Kommissar Günther Oettinger (CDU).
"Es geht hier um das Ansehen der europäischen Institutionen”, kritisiert der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund.
Ins Auge fallen vor allem drei Fälle:
- Günther Oettinger, von 2010 bis 2019 EU-Kommissar: Er sammelte die meisten Jobs (19, acht davon bei registrierten Lobbyisten) - darunter auch seine eigene Consulting-Firma, die er ebenfalls in Brüssel registrieren ließ. Für welche Auftraggeber die Firma tätig ist, ist nicht bekannt. Gegenüber dem ZDF sieht Oettinger darin kein Problem:
- Phil Hogan, ehemaliger irischer EU-Kommissar für Handel: Er wechselte unmittelbar nach seiner Kommissarstätigkeit zur Lobbyfirma DLA Piper. Die Kommission erfuhr davon offenbar erst, als Piper eine Pressemitteilung veröffentlichte. Darüber hinaus eröffnete Hogan seine eigene Beratungsfirma.
- Violetta Bulc, ehemalige slowenische EU-Verkehrskommissarin: Bulc ist der einzige bekannte Fall, in dem die Kommission eine konkrete Beratungstätigkeit untersagte. Dass Bulc aber allgemein Beratungstätigkeiten durchführt, findet die Kommission unproblematisch - auch wenn sie hier die Kunden ebenfalls nicht kennt.
Der Lebensmitteleinzelhandel wird in Deutschland zu 85 Prozent von nur vier Handelsketten dominiert. Und sie diktieren die Preise. Bestes Beispiel: der jahrelange Streit um den Milchpreis.
Wie Auflagen kontrolliert werden, ist unklar
Genehmigt wurden alle anderen Beratungstätigkeiten der aktuellen Kommission von Ursula von der Leyen. Meist finden sich in den Genehmigungsschreiben Auflagen wie die, man solle nicht bei der Kommission oder aktuellen Kommissaren lobbyieren.
Wie diese Auflagen kontrolliert werden, ist jedoch schleierhaft, zumal wenn die Ex-Kommissare bei registrierten Lobbyfirmen arbeiten, deren Klienten die Kommission nicht kennt.
Verhandlungen über eine Reform auf EU-Ebene
Ein Sprecher der Kommission entgegnet dazu auf ZDF-Nachfrage: Man habe die Tätigkeiten gründlich geprüft - die entsprechenden Auflagen seien jedem bekannt. "Die Kommission erwartet, dass die ehemaligen Kommissare ihre neuen Auftraggeber sorgfältig über diese Einschränkungen informieren.”
Derzeit wird auf EU-Ebene übrigens über eine Reform verhandelt: Künftig soll eine noch neu zu schaffende Ethikbehörde über die Jobs während der "Abkühlungsphase" entscheiden. Die zahlreichen Fälle der alten Kommission zeigten, so meint der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund, wie notwendig diese Reform offenbar ist.
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