Nach über 80 Jahren hat wieder eine Journalistin den Friedensnobelpreis verliehen bekommen. Maria Ressa im Interview über Pressefreiheit - und wie sehr sie weltweit in Gefahr ist.
ZDFheute: Wie hat der Friedensnobelpreis Ihr Leben verändert?
Maria Ressa: Ich denke, dass Journalisten überall auf der Welt erkennen, dass sie nicht allein sind. Außerdem wird mir immer klarer, dass wir wirklich am Abgrund stehen und wir unsere Demokratie schützen müssen. Ich habe nachgeschaut: Das letzte Mal hat 1936 ein Journalist diesen Preis erhalten und er konnte ihn nicht in Oslo entgegennehmen, weil er in einem Konzentrationslager der Nazis saß.
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ZDFheute: Wie sehen Sie die derzeitige Situation der Pressefreiheit weltweit?
Ressa: Wir könnten die Pressefreiheit verlieren. Denn Journalisten haben ihre Funktion als Nachrichtenverbreiter an die großen Tech-Giganten abgeben müssen. Dies begann so um 2014 herum. Der erste Dominostein fiel hier auf den Philippinen mit der Wahl von Präsident Duterte, dann der Brexit, dann die Wahl Trumps und später von Bolsonaro. Es hört nicht auf. Das Geld fließt zu den Plattform-Betreibern. Aber sie haben die Verantwortung abgelehnt, die Öffentlichkeit vor Lügen zu schützen. Ihre Algorithmen verstärken und vergrößern die Verbreitung der Lügen, viel schneller als langweilige Fakten. Das Interessante daran ist, die Lügen sind mit Hass und Wut aufgeladen. Die Plattformen verbreiten also Nachrichten, die heimtückisch deine Gefühle manipulieren.
ZDFheute: Warum ist die Pressefreiheit so wichtig für eine Gesellschaft?
Ressa: Fakten sind die Grundlage für jedes menschliche Streben. Wenn wir uns über die Fakten einig sind, dann finden wir die Wahrheit. Auch wenn wir gegensätzlicher Meinung sind, schafft man so Vertrauen.
ZDFheute: Wir erleben in unseren Demokratien Fake News und einen ehemaligen Präsidenten, der die freie Presse als Staatsfeind bezeichnet - wie sehr ist die Pressefreiheit in Gefahr?
Ressa: Es kommt darauf an, wie robust eine Demokratie ist. Selbst Deutschland hat mit dem Aufstieg der extremen Rechten zu kämpfen. Und das ist ein Problem, das die ganze Welt betrifft.
Wenn wir nicht aufpassen, kann sich Geschichte wiederholen. Stalin oder Hitler wurden demokratisch gewählt. Wir haben es zurzeit mit Führern zu tun, die spalten. Sie sind sexistisch und frauenfeindlich. Sie sind Populisten und nutzen Social Media, um ihre Popularität zu steigern, um eine Art Konsens zu schaffen, dass sie großartig sind. Und wenn sie dann gewählt sind, nutzen sie ihre Macht, um die Freiheit von innen heraus zu zermalmen.
ZDFheute: Sie leben in der ständigen Gefahr, festgenommen zu werden. Haben Sie persönlich Angst?
Ressa: Ich sage immer, stell Dich Deiner Angst. Ich rechne mit dem Schlimmsten. Wir trainieren das. Und dann braucht man eine Art Galgenhumor, um damit umzugehen. Irgendjemand wird mir schon etwas zu essen bringen.
ZDFheute: Würden Sie mit all Ihren Erfahrungen, die Sie gemacht haben, junge Menschen heute noch ermutigen, Journalisten zu werden?
Ressa: Absolut, auf jeden Fall würde ich jungen Menschen raten, Journalisten zu werden. Denn jetzt geht es um alles. Die jungen Menschen haben sogar einen Vorteil, weil sie mit dem Internet aufgewachsen sind. Ich habe meinen Artikel noch mit dem Telefon der Redaktion diktiert. Diese alte Welt wurde zerstört, das ursprüngliche Geschäftsmodell des Journalismus ist verschwunden.
Das Interview führte Ulf-Jensen Röller.
- Friedensnobelpreis für mutige Journalisten
Der Friedensnobelpreis 2021 geht an zwei Journalisten: Maria Ressa von den Philippinen und Dmitri Muratow aus Russland. Sie werden für ihren Kampf für Meinungsfreiheit geehrt.