Hunderttausende Kinder sind in den Drogenkrieg in Mexiko verwickelt. Rekrutiert werden sie von den Kartellen, die ständig Nachschub brauchen. Und nur wenige kommen lebend da raus.
Es war Mitternacht und die Straßen im Zentrum von Mexiko-Stadt fast menschenleer. Ein Mann transportierte einige Kisten mit einer Sackkarre. Eine davon fiel ihm hinunter und öffnete sich einen Spalt. Polizisten, die herbeikamen, um zu helfen, machten einen grausigen Fund: die zerstückelten Leichen von zwei Jungen im Alter von zwölf und 14 Jahren.
Entsetzen in Mexiko
Selbst im so sehr von Gewalt gebeutelten Mexiko sorgte der Fall für Entsetzen. Er führte vielen einen besonders schrecklichen Aspekt des sogenannten Drogenkriegs vor Augen: die Rolle von Kindern.
Die beiden Jungen hießen Alan und Héctor, waren Freunde und beide indigener Herkunft. Vier Tage vor dem Fund am 31. Oktober waren sie verschwunden. Sie wohnten in alten, heruntergekommenen Häusern im historischen Zentrum der mexikanischen Hauptstadt, wo lokale Kartelle Kinder als Späher, Drogenverkäufer, Schutzgelderpresser und auch als Auftragskiller anheuern.
Gewalt im Herzen der Stadt
Alan und Héctor wurden auf einer Dachterrasse in der Straße República de Cuba - in einem Haus, das das lokale Kartell Unión Tepito nutzt - gefoltert und in Stücke gehackt. Von dort sind es nur wenige Gehminuten bis zu Touristenattraktionen wie dem Nationalpalast, wo Mexikos Präsident lebt.
Als Motiv wird Rache vermutet. Nach Medienberichten sollen die Kinder Hinweise zum Aufenthaltsort des Sohnes von "Big Mama" - einer Anführerin der Unión Tepito - gegeben haben. Ihr Sohn Raúl war am Tag, bevor Alan und Héctor verschwanden, ermordet worden.
Ever Yohsimar Martínez war als Kind ein Sicario - ein Auftragskiller. Mit zwölf fing er mit Diebstahl an, zwei Jahre später mordete er zum ersten Mal.
Der heute 28-Jährige hat den Ausstieg geschafft, seine Kindheit im Hauptstadtviertel La Merced war aber seiner Darstellung zufolge sehr hart - voller Gewalt und Entbehrungen.
Täglich 100 Morde
Als Mexikos damaliger frischgebackener Präsident Felipe Calderón Ende 2006 den Drogenbanden den Krieg erklärte, begann eine Epoche des Blutvergießens, die bis heute andauert. Derzeit gibt es in dem nordamerikanischen Land jeden Tag im Schnitt knapp 100 Morde.
Der Chef der Kinderrechtsorganisation Redim, Juan Pérez, sagt:
Die Kartelle hätten daher angefangen, mehr junge Leute zu rekrutieren. Wie sie behandelt werden, kommt laut Pérez der Sklaverei gleich. Wenn sich ein Kind einer Bande anschließe, lebe es im Schnitt noch drei Jahre.
Regierung geht von Hunderttausenden Kindern in Banden aus
In einem Bericht von 2011 schätzte Redim, dass um die 30.000 Unter-18-Jährige für Kartelle arbeiteten. Vor zwei Jahren sprach der damalige designierte Minister für öffentliche Sicherheit, Alfonso Durazo, sogar von 460.000. Verlässliche Zahlen gibt es nicht.
Ever Yohsimar Martínez wurde mit 17 zum letzten Mal in eine Strafanstalt geschickt - für fünf Jahre wegen Mordes. Danach habe er begonnen, Reue zu spüren, sagt Martínez. Er bekam ein Stipendium an einer renommierten technischen Hochschule, lernte in Kanada einige Monate Englisch und studiert derzeit Mechatronik.
Außerdem gründete er eine Organisation, die Kindern hilft, den Fängen der Kartelle zu entkommen. In die Jugendhaftanstalten kehrt er nur noch zurück, um den Insassen zu sagen, dass ein anderes Leben möglich ist.