In Deutschland verlieren immer mehr Menschen ihre Wohnung. Beispiele aus dem Ausland zeigen, wie Obdachlosen unkompliziert geholfen werden kann.
Kein Bett, kein Essen, keine Wohnung – und das bei Minusgraden: Mehr als 400 000 Menschen haben in Deutschland keine eigene Wohnung oder leben auf der Straße.
Steigende Mietpreise, stagnierende Löhne, eine nicht ausreichende Anzahl verfügbarer Sozialwohnungen und nicht zuletzt die Corona-Pandemie sind dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen an den Rand der Armut gedrängt werden. Dort gehören sie automatisch zur gefährdetsten Gruppe für Wohnungs- und Obdachlosigkeit.
Fehlende oder wegbrechende finanzielle Reserven - sei es durch eine Scheidung oder Trennung, Arbeitsplatzverlust, Auszug aus dem Elternhaus - und dadurch entstehende Schulden, sind laut Statistiken der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) in über 50 Prozent der Fälle der Auslöser für den Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit.
Der harte Weg zurück aus der Obdachlosigkeit
Dort angekommen braucht es häufig Hilfe, um wieder ins "normale" Leben zurückzufinden - mit einem Job, geregeltem Einkommen und natürlich einem Dach über dem Kopf. Ein Konzept, dass 1999 in den USA entwickelt wurde, findet langsam auch in Deutschland Zuspruch: Housing First.
Es kehrt die Logik bei der Wohnungssuche für Obdachlose auf den Kopf: Bis heute wird vorausgesetzt, dass ein Mensch dann eine Wohnung bekommen kann, wenn er oder sie abstinent ist und ein geregeltes Einkommen, Zuverlässigkeit und eine Bankverbindung nachweisen kann - das sogenannte Stufenmodel.
Doch der Anspruch scheitert häufig an der Realität. Housing First hingegen garantiert obdachlosen Menschen erstmal eine Unterkunft, von wo aus das Leben organisiert werden kann. Simpel, aber effektiv.
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Ein Wohn-Projekt aus Madrid - mit Modelcharakter?
In der spanischen Hauptstadt Madrid arbeitet eine Stiftung bereits seit einigen Jahren an einem eigenen Weg von Housing First. Die "Fundazion Madrina" versucht gleich zwei große nationale Probleme anzugehen.
Sie hilft jungen Müttern und Familien, die von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bedroht sind, indem sie ihnen Wohnungen in von Landflucht betroffenen Kleinstädten und Dörfern vermittelt. Auf diese Weise können zum einen Schulen und Arbeitsplätze in den Kommunen gesichert werden.
Miguel war obdachlos. Seit 2015 wohnt er in einer "Housing first"-Unterkunft und arbeitet nun für die Stadt. Die will aus seinen Erfahrungen als Wohnungsloser lernen.
Zum anderen erhalten die Familien nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern unterstützen auch die Gemeinden. Von Montag bis Mittwoch veranstaltet die Stiftung, die hauptsächlich aus EU- und kommunalen Geldern finanziert wird, Essensausgaben im Zentrum der Stadt für Mütter und Familien. Durchschnittlich 400 Menschen kommen täglich zum Plaza San Amaro, um eine Wochenration Essen, Hygieneartikel und Babynahrung zu erhalten.
Hier sprechen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung die Hilfesuchenden an und klären über ihr Austauschprojekt auf. Wer Interesse hat, wird zu einem Interview in die Stiftung eingeladen, um die Qualifikation für das Programm zu evaluieren.
Suchtprobleme, Schulden und Vorstrafen spielen dabei allerdings auch eine Rolle - ein Kritikpunkt unter Housing-First-Experten, die solche Ausschlusskriterien ablehnen.
Reisen, Sport, Musikstunden - ihr Kind soll alles haben. Aber nicht jedes Kind möchte das. Es gibt welche, die ausbrechen und am Ende auf der Straße landen. Für Eltern ein Albtraum.
"Masterplan zur Umsiedlung" ermöglicht Neuanfang?
Passt alles, wird innerhalb weniger Tage ein Treffen zwischen der Familie und dem Bürgermeister der Dörfer vereinbart, um gemeinsam herauszufinden, wie es konkret weitergeht. Neben der Besichtigung der Wohnung oder des Hauses wird sich darüber ausgetauscht, welche Kompetenzen die Eltern mitbringen und welchen Bildungsstand die Kinder haben.
In Zusammenarbeit aller Parteien wird so ein Masterplan für die Umsiedlung entwickelt. Die Wohnungen stellen die Kommunen entweder kostenfrei oder gegen eine kleine Miete zur Verfügung. Die Versorgung mit Essen, Einrichtung, Küchenutensilien und Kinderbedarf gewährleistet die Stiftung so lange, bis die Familien auf eigenen Beinen stehen können.
Über die Jahre haben sie so 800 Familien in 300 Dörfern unterbringen können. Ein großer Erfolg für Madrid - aber auch eine Möglichkeit für Deutschland?
"Hast du keine Arbeit, kriegst du keine Wohnung. Hast du keine Wohnung, kriegst du keine Arbeit." Franz-Konrad konnte mit "Housing First" diesen Teufelskreis durchbrechen.
Der Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W), Werena Rosenke, ist bisher kein vergleichbares Umsiedlungsprojekt - von der Stadt aufs Land - für Obdachlose in Deutschland bekannt. Sie sieht für eine Übertragung auf Deutschland einige Hürden: "Zum einen herrscht auch in manchen ländlichen Regionen Wohnungsnot", erklärt Rosenke.
Zum anderen sieht sie in den umfangreichen Daten, die der BAG W zur Verfügung stehen, dass "die allermeisten Menschen in ihren Strukturen bleiben wollen", also nicht umziehen wollen. Einen schlechten Ansatz hat die Madrina-Stiftung, aus ihrer Sicht, aber trotzdem nicht - man müsste es halt in Deutschland mal ausprobieren.