Verkehrswende: Bus und Bahn - Fahrtausfälle wegen Krankheit
Verkehrswende ohne Personal?:Bus und Bahn: Wegen Krankheit Fahrtausfall
von Katharina Schuster
12.09.2022 | 17:06
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Wegen etlicher Krankheitsfälle fallen bundesweit Bus- und Bahnfahrten aus. Verdi identifiziert vor allem ein Problem: Überlastung. Ist Deutschland auf eine ÖPNV-Wende vorbereitet?
Deutschlandweit fallen Bus- und Bahnfahrten wegen Krankheitsfällen aus.
Quelle: Imago
Bundesweit berichten Verkehrsunternehmen der ZDFheute-Redaktion von einem höheren Krankenstand als üblich. Einige Verkehrsunternehmen wie beispielsweise in Wiesbaden setzten daher den Reset-Knopf und stellten werktags auf ausgedünnte Samstags- oder Ferienfahrpläne um.
Große Lücken im Dienstplan
In der Landeshauptstadt fehlten täglich 50 Fahrer*innen, sagt ein ESWE-Sprecher. "Wenn wir auch künftige Personal-Schwankungen, wie eine neue Corona-Welle im Herbst, ausgleichen wollen, fehlen sogar 100 Fahrerinnen und Fahrer."
In Leipzig fahren einige Linien in 15 Minuten- statt 10 Minuten-Taktung. In anderen Städten wie in Düsseldorf müssen Fahrten zum Teil ganz ausfallen. In anderen Regionen wie in Mainz sei die Lage noch vergleichsweise gut, wie eine Sprecherin des Regionalverbands Südwest (VDV) mitteilt. Aber auch dort gebe es einen erhöhten Krankenstand.
Der Mitteldeutsche Verkehrsverbund teilt gegenüber ZDFheute mit:
Mit den angepassten Fahrplänen wird den Personalausfällen begegnet und trotzdem das Fahrplanangebot für alle Menschen sichergestellt, sodass jede*r zur Schule, Arbeit, Arzt etc. mit dem ÖPNV gelangen kann.
Mitteldeutscher Verkehrsverbund
Busausfälle: Verdi identifiziert Überlastung als Ursache
Als Begründung für die Ausfälle geben die meisten angefragten Verkehrsunternehmen Corona-Erkrankungen an. Die Gewerkschaft Verdi identifiziert aber eine andere Ursache: Überlastung.
Verweigerung freier Tage, Überstunden durch Verspätungen, die oft nicht bezahlt werden und kurze Pausen erhöhen den Stress für die Fahrer*innen.
Andreas Schackert, Verdi
Viele Fahrer*innen hätten nur zwanzig dienstfreie Wochenenden im Jahr - oder weniger. Ihre konkrete Dienstplanung erfahren sie oft erst eine oder zwei Wochen im Voraus. Kurzfristige Änderungen der Dienstplanung seien immer möglich. "Ein geregeltes Sozialleben wird dadurch verunmöglicht", so Schackert.
Unter diesen Arbeitsbedingungen gebe es immer weniger Menschen, die bereit seien, im ÖPNV zu arbeiten. Die Folge: Eine hohe Fluktuation und damit Personalmangel.
Das 9-Euro-Ticket hat Millionen Menschen in den ÖPNV gelockt und die Schwachstellen des öffentlichen Nahverkehrs offen gelegt. Braucht es ein Nachfolgeangebot? Ein Pro und Contra.
BDO: 2030 werden 76.000 Busfahrer*innen fehlen
Laut Berechnungen des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmen (BDO) gibt es derzeit bundesweit 5.000 Busfahrer*innen zu wenig, Verdi spricht von 10.000. 2030 werden laut BDO 76.000 Busfahrer*innen fehlen.
Einer, der bleibt und seinen Job trotz allem liebt, ist Jürgen. Der 53-Jährige ist Busfahrer in Wiesbaden und seit einigen Monaten wegen Long Covid krankgeschrieben. Vor 15 Jahren startete er in der Branche. Schon seit Jahren sei der Personalmangel akut, stellt Jürgen im Gespräch mit ZDFheute fest. "Wir sind seit vielen Jahren auf Kante genäht."
Linien würden verlängert, Takte verdichtet, zusätzliche Linien dazugenommen, aber das Personal nicht aufgestockt. Und so nehme der Stress und die Verantwortung für die, die bleiben zu. Hinzu komme, dass verbale und körperliche Attacken gegen Busfahrer extrem zugenommen hätten.
Irgendwann geht es einfach nicht mehr. Kollegen melden sich wegen Überlastung krank. Oder verlassen die Branche ganz.
Jürgen, Busfahrer
Verkehrsexperte begrüßt 9-Euro-Ticket-Nachfolge
Die Personalsituation sei ein ernsthaftes Problem, stellt Thorsten Koska, Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal-Institut fest. Die Nachfrage des ÖPNV sei - mit kurzer Unterbrechung durch die Corona-Pandemie - kontinuierlich gewachsen, aber das Angebot nicht nachgekommen.
Bis 2030 soll laut Bundesregierung der ÖPNV massiv ausgebaut sein. Die Fahrgastzahlen sollen verdoppelt werden. "Das alles kostet Geld", sagt Verdi-Sprecher Schackert. "Deutlich mehr Geld als die strukturell defizitären ÖPNV-Unternehmen heute zur Verfügung haben." Für die Verdopplung des ÖPNV rechnet ver.di mit Gesamkosten von 120 Milliarden Euro.
Ganz grundlegend finanziert sich der öffentliche Verkehr zum einen Teil aus Ticketeinnahmen. Zum anderen wird der ÖPNV durch öffentliche Zuschüsse von Bund, Ländern und Kommunen finanziert. Dabei sind die Kommunen für den Bus-, U-Bahn und Straßenbahnverkehr und die Länder für den schienengebundenen Regionalverkehr zuständig.
Der Bund bezuschusst den ÖPNV der Kommunen direkt über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und die Länder über sogenannte Regionalisierungsmittel. Wobei die Länder einen Teil des Geldes an die Kommunen weitergeben - regulär sind das in diesem Jahr etwa 9,4 Milliarden Euro. Die Subventionen decken vor allem Investitionskosten ab, Betriebskosten nur zu einem geringeren Teil.
Der Fernverkehr im Schienennetz (IC, ICE) trägt sich wirtschaftlich selbst.
Trotzdem befürwortet Verkehrsexperte Koska den 9-Euro-Ticket-Nachfolger. Auch wenn dafür doppelt Geld investiert werden müsse. Zum einen, um das Angebot auszubauen und zum anderen, um das Angebot billiger zu machen. Doch:
Dieses doppelte Mehr an Ausgaben ist gut investiertes Geld, denn die Verkehrswende ist aus Klimaschutzperspektive unabdingbar. Und der öffentliche Verkehr ist das Rückgrat der Verkehrswende.
Thorsten Koska, Verkehrsexperte
Außerdem sei die Vergünstigung des ÖPNV eine wichtig sozialpolitische Aufgabe. Denn gerade Menschen mit geringerem Einkommen, nutzten den ÖPNV verstärkt. Dass die Bundesregierung den öffentlichen Nahverkehr nun stärker subventioniert, sei also unabdingbar. Der private Pkw-Verkehr sei über Jahre viel stärker bezuschusst worden.
Wofür das 9-Euro-Ticket genutzt wurde
ZDFheute Infografik
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Auch Busfahrer Jürgen unterstützt die Verkehrswende, engagiert sich sogar in einer Bürgerinitiative für nachhaltige Mobilität. Aber damit er und seine Kolleg*innen auch noch in Zukunft Spaß bei der Arbeit haben, dürften die Menschen wie er, die den öffentlichen Nahverkehr am Laufen halten, nicht übergangen werden.
Mehr Zugfahrten, viele Ausflüge, ein Gewinn für Ärmere: Das 9-Euro-Ticket hat dem Nahverkehr in Deutschland einen Schub gegeben - aber die Wirkung wird wohl wenig nachhaltig sein.