Der Landtag in Wiesbaden hat einen Hilfsfonds für Opfer allgemeiner Kriminalität beschlossen. Den Angehörigen der Anschlags-Opfer von Hanau geht das nicht weit genug.
Heute jährt sich der Anschlag von Hanau. Damals tötete ein Mann aus rassistischen Motiven neun Menschen – nach der Tat erschoss er seine Mutter und sich selbst. Bis heute sind noch viele Fragen offen.
In einem sind sich Angehörige der Opfer von Hanau und die hessischen Landespolitiker einig: Das Leid, das den Familien durch die rassistischen Morde vom 19. Februar 2020 angetan wurde, lässt sich mit Geld nie wieder gut machen. Doch man sollte sich wohl auch nicht um Geld Sorgen machen müssen, wenn man seine Liebsten durch rechtsmotivierten Terror verloren hat und dadurch auch noch finanziell in eine Notlage kommt.
Einen Hilfsfonds für Opfer von Straftaten gab es in Hessen bislang nicht. Dass er im Wiesbadener Landtag nun beschlossen wurde, ist den Angehörigen der Opfer von Hanau und ihren Unterstützern zu verdanken, die sich in vielen Gesprächen mit Landespolitikern dafür stark gemacht hatten.
Enttäuschung über Opferfonds bei Angehörigen
Doch der jetzt von vier Landtagsfraktionen - CDU, Grüne, SPD und FDP - als fraktionsüberbegreifender Kompromiss präsentierte Opferhilfsfonds wird bei den Angehörigen mit großer Enttäuschung aufgenommen. Die Gründe: Er hat eine allgemeine Ausrichtung, also auf "allgemeine Kriminalität", und das wollten die Angehörigen und ihre Unterstützer nicht. Und der Fonds beinhaltet eine Summe für dieses Jahr von zwei Millionen, das sei angesichts der vielen Opfer von Straftaten viel zu niedrig.
Auch die Bildungsstätte Anne Frank, die Initiative 19. Februar Hanau und der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.) kritisieren den geplanten Opferfonds scharf. Er habe mit dem ursprünglichen Anliegen nicht viel zu tun.
Fokus auf allgemeiner statt rechtsmotivierter Kriminalität
Kritisiert wird die Ausrichtung des Fonds auf Opfer allgemeiner Kriminalität, denn damit verkenne man die politische Dimension des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau. Viele Angehörige und Überlebende des Terrors von Hanau waren nach dem 19. Februar traumatisiert, lethargisch, unfähig weiter zu arbeiten und haben dadurch Einkommenseinbußen erlitten.
Hinzu kommt, dass viele umziehen wollten. Gerade für die Familien, die in Hanau-Kesselstadt leben, sei es unerträglich, weiterhin so nah an den Orten zu wohnen, wo ihre Liebsten ermordet wurden, sagt Armin Kurtović, dessen Sohn Hamza in der Arena-Bar getötet wurde, nicht weit von seiner Wohnung entfernt. Aber Umzüge sind teuer und eine neu gemietete Wohnung meistens auch.
Initiative 19. Februar: Opferkonkurrenz zu Betroffenen anderer Straftaten entsteht
Newroz Duman von der Initiative 19. Februar kritisiert, dass von Politikern und auch Medien ein verfälschtes Bild verbreitet wurde. In einer Pressemitteilung vom Mai 2020 sei etwa zu lesen gewesen, dass die Angehörigen "über eine Million Euro Soforthilfen" erhalten hätten. Nicht mitgeteilt worden sei aber, dass "dieses Geld unter sehr vielen Angehörigen sowie physisch und psychisch Verletzten und Überlebenden aufgeteilt wurde, und dass dann pro Familie eine Summe übrig bleibt, die keine längerfristige Sicherheit bietet", sagt Newroz Duman.
Die Landespolitik müsse sich glaubhaft an die Seite der Betroffenen rassistischer Gewalt stellen, statt sie in eine unwürdige Opferkonkurrenz zu Betroffenen sämtlicher Straftaten zu zwingen. Auch die Initiative 19. Februar hat einen Offenen Brief dazu geschrieben.
Auch ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau haben die Angehörigen der Opfer noch viele offene Fragen.
Keine Mehrheit für Vorschlag der Linken
Warum war im Hessischen Landtag kein Opferfonds möglich, der im Sinne der Angehörigen von Hanau ist? Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Linken-Fraktion, sagt, dass seine Partei mit dem einzigen Vorschlag, mit dem die Angehörigen und ihre Unterstützer zufrieden gewesen wären, nicht durchkam. Drei Millionen Euro für die Opfer rechter, rassistischer Gewalt, der größte Teil davon sollte nach Hanau gehen.
CDU und SPD verteidigen Opferhilfsfonds
Ines Claus, Fraktionschefin der CDU verteidigt den beschlossenen allgemeinen Opferfonds und kann die Kritik nicht verstehen.
Der Etat von zwei Millionen jährlich für alle Opfer von Gewalt sei von vier Fraktionen mitgetragen worden, und das sei schon mal ein guter Schritt.
Nancy Faeser, Fraktionschefin der SPD sagt:
Keine Mehrheit auch deshalb, weil die Grünen beim Opferfonds an der Seite ihres Regierungspartners CDU standen.
Grünen und FDP zufrieden mit Ergebnis
Wie reagiert Grünen-Fraktionschef Matthias Wagner auf die Enttäuschung der Angehörigen? Er bleibt dabei: Man habe einen Opferfonds geschaffen und dafür gesorgt, dass sich auch die Angehörigen der Opfer von Hanau "nicht über Geld Gedanken machen" müssten.
"Der Schmerz", den sie erlitten hätten, sei "ohne Frage groß". Dieser Schmerz sei aber ohnehin nicht in Geld zu messen. Auch die FDP ist zufrieden. Fraktionschef Stefan Müller verweist auf den Opferfonds des Bundes, sobald der fest stehe, könne man die Hilfen an die Opfer von Hanau gegebenenfalls noch aufstocken.
Fest steht: In Thüringen waren die Opfer der rechtsradikalen NSU-Morde mit der Entschädigung, die ihnen das Land zusprach, zufrieden. In Hessen sind es die Angehörigen und Überlebenden der rassistischen Morde von Hanau nicht.
Susana Santina ist Korrespondentin im ZDF-Studio Hessen.
Der Autorin auf Twitter folgen: @susa7170
- Widmann-Mauz: Mehr Einsatz gegen Rassismus
Kurz vor dem ersten Jahrestag des Anschlags von Hanau hat Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) mehr Einsatz gegen rassistisch motivierte Gewalt gefordert.