Benedikt XVI. spricht von "großer Schuld" im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal. Den Vorwurf der Vertuschung weist er zurück. Wie ist der Brief des Papstes zu verstehen?
Viereinhalb Seiten umfasst der sehr persönlich gehaltene Brief des ehemaligen Papstes. Er wirkt wie ein großes Schuldbekenntnis. Das liegt daran, dass Benedikt XVI. ihn eng, bis in Formulierungen hinein, an das Gebet des Schuldbekenntnisses bei Gottesdiensten anlehnt. Er spricht von "übergroßer Schuld", die er bei sich sieht, aber auch bei einem "Wir", das er nicht näher definiert. Ob er damit die Kirche als Ganze meint, bleibt offen.
Er äußert seine "tiefe Scham", seinen "großen Schmerz" angesichts der Taten und bringt seine "aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck".
Benedikt XVI.: Perspektive der Betroffenen entscheidend
Als Ausgangspunkt dieser Gedanken setzt er die Erfahrung bei den Begegnungen mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs. Dabei habe er den Folgen der besagten "übergroßen Schuld" ins Auge gesehen und verstehen gelernt. Er betont damit, dass die Perspektive der Betroffenen für ihn entscheidend war in der Einsicht, welche Fehler die Kirche gemacht hat und dass gehandelt werden muss.
Der Vatikan hat eine Stellungnahme von Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten veröffentlicht. Darin entschuldigt er sich gegenüber den Opfern.
Allerdings fällt auf, dass diese Perspektive der Betroffenen und das Schuldbekenntnis nicht an erster Stelle im Brief stehen. Benedikt XVI. dankt zunächst denen, die ihn in den vergangenen Wochen, in denen er stark in der Kritik stand, unterstützt haben, und er dankt seinen Mitarbeitern.
Aus Benedikts Perspektive mag der Aufbau Sinn ergeben, denn er endet mit dem Gedanken an den nahen Tod und dem Hinweis, dass er "ja nun bald vor dem endgültigen Richter" seines Lebens stehe.
Kein Wort über Verantwortung für Fehler
Für säkulare Beobachter wirkt die Reihenfolge einmal mehr befremdlich, wurde dem emeritierten Papst wiederholt vorgeworfen, dass er weniger die Betroffenen im Blick habe als die Institution.
Auch an anderer Stelle bleibt er hinter den Erwartungen zurück. Benedikt XVI. erklärt zwar, dass er große Verantwortung in der Kirche getragen habe, doch schreibt er nicht, dass er auch Verantwortung für Fehler übernehme.
Er bleibt allgemein, drückt seinen Schmerz "über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind", aus. Damit bezieht er sich explizit nicht nur auf seine Zeit als Erzbischof von München und Freising, sondern eben auch als Chef der Glaubenskongregation und als Papst.
Mitarbeiter Benedikts weisen Vertuschungsvorwürfe zurück
In einem Begleitschreiben weisen seine Berater alle Vorwürfe, die im Zusammenhang mit dem Gutachten des Erzbistums München-Freising geäußert wurden, zurück. Benedikt XVI. habe weder in seiner Amtszeit als Erzbischof vertuscht, noch mit Blick auf seine Stellungnahme für das Gutachten absichtlich gelogen.
Dass er, anders als in der Einlassung angegeben, an einer Ordinariatsratssitzung im Jahr 1980 doch teilgenommen habe, sei ein Fehler gewesen, "der bedauerlicherweise geschehen ist". Er sei nicht beabsichtigt gewesen und daher aus seiner Sicht entschuldbar.
Der ehemalige Papst setzt ein Zeichen
Scharf attackiert er seine Kritiker mit der Feststellung, er sei "sehr getroffen", dass der Fehler "ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen".
Die Zweifel über seine Rolle in den im Münchner Gutachten genannten Fällen wird Benedikt XVI. mit seinem Brief und dem "Faktencheck" seiner Berater nicht abschließend ausräumen können. Aber er setzt ein Zeichen, wählt deutliche Worte, gibt "schwere Schuld" zu und bittet erneut um Entschuldigung. Damit geht er einen Schritt auf die Betroffenen zu.
Wirklich Neues sagt Benedikt XVI. allerdings in dem vorliegenden Schreiben nicht, das über das hinausgeht, was er bereits als amtierender Papst sagte. Ein wirklicher Befreiungsschlag sieht anders aus.
Jürgen Erbacher ist Leiter der ZDF-Redaktion Kirche und Leben katholisch