In Pariser Bahnhöfen ist in all dem Lärm mitunter auch ein Klavier zu hören. Hobby-Pianisten probieren sich hier aus - und auch so mancher Profi. So wie Jean-Pierre Guillaume.
Da ist etwas, was die Leute anhalten lässt. Etwas, mit dem sie hier nicht gerechnet haben: Musik, ein Klavier. Jean Pierre Guillaume, graues verwuscheltes Haar, Biker-Jacke, lässt seine Hände über die schwarzen und weißen Tasten gleiten, seine Füße tippen auf den Boden, er schaut auf und lächelt. Längst sind die Handykameras auf ihn gerichtet. Ihm gefällt das.
Es ist 14 Uhr am Gare de Lyon in Paris. Passanten rasen von einem Bahnsteig zum anderen, dem Takt des Alltags folgend. Doch hier am Klavier wird er unterbrochen. Traditioneller Jazz, Boogie Woogie zwischen Lautsprecheransagen: "Gemütliche Momente schaffen, den Leuten meine Musik näherbringen" - das antwortet Jean Pierre Guillaume auf die Frage, warum er seit rund fünf Jahren zwei bis drei Mal die Woche an Pariser Bahnhöfen spielt.
Daneben gibt er Kurse und spielt Konzerte. Mit 40 entschied er, nur noch für die Musik zu leben, seinen Job in der Industrie aufzugeben. Es sei schon vorgekommen, dass Leute ihren Zug verpasst hätten, weil sie seiner Musik lauschten.
An Bahnhöfen in ganz Paris stehen Klaviere
Gare de l‘Est, Gare du Nord, Gare Saint Lazare ... die Pianos sind hier überall zu finden, auch auf dem Land. Ihre Reise durch die Bahnhöfe der Republik traten sie 2011 an. Es war ein Zufall. Als Überbleibsel eines Events am Gare de Montparnasse blieb über Tage ein Klavier stehen, die Passanten setzten sich daran, spielten.
So kam der französischen Bahn SNCF die Idee, sie überall zu installieren. Letztes Jahr im April wurde eins durch den Pianisten André Manoukian "getauft". Einige spätere Kandidaten einer französischen Musik-Castingshow begannen hier ihre Karrieren.
Bahnhöfe sollen zu kulturellen Orten werden
Inzwischen sind es rund 100 Klaviere, nicht nur in der Stadt Paris, auch auf dem Land. Sylvain Bailly, Direktor für kulturelle Angelegenheiten der SNCF, erklärt: "Wir sind eine Partnerschaft mit einer bekannten Marke eingegangen, die die Klaviere auch regelmäßig wartet."
Quelle: ZDF
Sie sind dabei nur ein Puzzleteil in einem größeren Programm. Denn die SNCF will Bahnhöfe zu kulturellen Orten weiterentwickeln. Orte, die zum Verweilen einladen, nicht bloße Reisestationen sind.
So gibt es im Gare du Nord Ausstellungen und Co-Working-Räume, am Gare Saint-Lazare beispielsweise ein Restaurant - betrieben von einem Sternekoch.
Flüchtige Momente
Guillaume spielt inzwischen mit einem Fremden dreihändig auf der Klaviatur; Guillaume mit beiden, der Andere mit einer Hand. Sie schauen sich an, verstehen sich ohne Worte. Es sind diese flüchtigen Momente, mit Unbekannten, die die Atmosphäre ausmachen - nicht wiederholbar. Es ist der unkomplizierte und spontane Austausch mit Laien und anderen professionellen Musikern, der ihn immer wieder hierher führt.
Die Zeiger der Turmuhr am Gare de Lyon stehen inzwischen auf 16 Uhr. Ein letzter Tanz der Finger auf der Klaviatur. Eine letzte angeschlagene Note. Die Menschenmenge verliert sich, irgendwohin. Die gemeinsame Zeit aber bleibt, das hofft zumindest Jean-Pierre Guillaume.