In Deutschland leben fast acht Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung. Ihr Alltag ist geprägt von Diskriminierung und Hindernissen. Dabei ist mehr Miteinander machbar.
Wer in seiner Mobilität eingeschränkt ist, stößt auf viele Herausforderungen. Menschen mit Behinderungen genauso wie Ältere oder Eltern mit Kinderwagen.
Vor 13 Jahren hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigte Teilnahme und ein selbstbestimmtes Leben zu garantieren. Passiert ist viel zu wenig.
Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt? Fehlanzeige! Menschen mit Behinderungen sind fast doppelt so häufig arbeitslos wie Menschen ohne Behinderung. Teilhabe im Kulturbetrieb? Kaum vorhanden. Inklusive Theater- oder Tanzensembles sind eine Seltenheit.
- Menschen mit Behinderung häufiger arbeitslos
In den ersten zehn Monaten dieses Jahres waren im Durchschnitt 174.000 Menschen mit Behinderung arbeitslos - deutlich mehr als vor der Corona-Pandemie.
Die "Sozialhelden" helfen Hindernisse überbrücken
Im Berliner Verein "Sozialhelden" kämpfen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam für gleichberechtigte Teilhabe. Die scheitert oft schon an fehlenden Zugängen. Immer noch müssen nur öffentliche Einrichtungen barrierefrei sein - Geschäfte, Arztpraxen, Arbeitsplätze oder Veranstaltungen nicht.
Barrieren bewirken Ausgrenzung und verhindern Begegnungen und Austausch. Deshalb entwickeln die "Sozialhelden" mit Leidenschaft und Erfindergeist Projekte, die praktische Lösungen anbieten.
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Begonnen hat alles mit einer Onlinekarte für rollstuhlgerecht Orte; inzwischen hat der Verein eine Cloud entwickelt, in der alle Daten zur Barrierefreiheit zusammengeführt werden. Über zwei Millionen Orte weltweit sind inzwischen abrufbar. Das hilft Millionen von Menschen ganz selbstverständlich am Alltag teilzunehmen.
Starke Benachteiligung auf dem ersten Arbeitsmarkt
Barrierefreiheit bedeutet aber auch Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu erhalten. Was selbstverständlich klingt, ist in Deutschland noch lange nicht umgesetzt.
Eigentlich sind in Deutschland alle Unternehmen gesetzlich verpflichtet, pro 20 Mitarbeitenden einen schwerbehinderten Menschen zu beschäftigen. 60 Prozent aller Betriebe erfüllen diese Quote nur zum Teil oder gar nicht. Sie leisten oft lieber Ausgleichszahlungen.
Leopold Rupp lebt mit einer angeborenen Kleinwuchsform - und ist Arzt an der Charité. Der 29-Jährige zeigt, wie Inklusion im Alltag gelingt.
Das sind jährlich etwa zwischen 1.500 und 4.000 Euro pro nicht besetzten Arbeitsplatz. Unternehmen müssten intensiver beraten und Menschen mit Behinderungen bei ihrer beruflichen Qualifikation besser unterstützt werden.
Österreich: Ausbildungsgänge für Menschen mit Behinderung
Das versucht der Verein Chance B in der Oststeiermark in Österreich. Seit Jahrzehnten unterstützt er Menschen mit geistigen oder psychischen Einschränkungen.
Nun bietet Chance B auch ein einzigartiges Ausbildungsprogramm für Menschen mit Behinderungen. Das Besondere: Die Teilnehmenden erhalten ausreichend Zeit, um in verschiedenen Praktika herauszufinden, welcher Beruf zu ihnen passen könnte.
Chance B vermittelt Kontakte zu potentiellen Arbeitgebern, bietet schulische und sozialpädagogische Unterstützung und individuelle Förderung.
Im Bremer "BlauHaus" leben Studenten und Menschen mit Behinderung zusammen in einer WG. Die Studenten wohnen kostenlos, übernehmen im Gegenzug Betreuungsdienste für die Mitbewohner mit Einschränkungen.
Deutschland: Abgeschottet in Behindertenwerkstätten
Oft fällt den Menschen eine normale Lehre schwer. Chance B hat deshalb mit der Universität Klagenfurt einen einfacheren Bildungsabschluss entwickelt. Wer erfolgreich an dem Programm teilnimmt, erhält ein Zertifikat. Diese niedrigschwellige Ausbildung ist in Österreich als Abschluss unterhalb der Lehre staatlich anerkannt worden.
Die Sozialhelden kritisieren, dass in Deutschland Menschen viel zu häufig in Behindertenwerkstätten landen. 320.000 Menschen arbeiten dort für ein Taschengeld, abgeschottet in einer Sonderwelt. Nur ein Prozent davon schaffen es auf den regulären Arbeitsmarkt. Auch Elisabeth Grabner von Chance B findet das falsch:
Selbstbestimmt leben – das gelingt vor allem, wenn Menschen ihren Platz im Arbeitsleben finden, faire Löhne erhalten und ihr Potential entfalten können.