Plastikmüll kommt über die Luft bis in die Arktis

    Welttag der Meere:Plastikmüll über die Luft bis in die Arktis

    Mark Hugo
    von Mark Hugo
    08.06.2022 | 05:58
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    Die Arktis - eine unberührte, wilde Welt? Nicht mehr. Längst treibt dort tonnenweise Plastikmüll. Teils verbreitet der sich sogar über die Luft, haben Forschende herausgefunden.

    Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts nehmen Schneeproben auf dem Meereis in der Arktis
    Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts nehmen Schneeproben auf dem Meereis in der Arktis
    Quelle: dpa

    Die Partikel sind winzig klein und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Mikroplastik wird von den Meeresbewohnern über die Nahrung aufgenommen und landet damit am Ende oft genug auf unseren Tellern - mit Folgen auch für die menschliche Gesundheit. Das Problem vom Mikroplastik im Video erklärt:
    07.09.2020 | 1:23 min
    Das ist offenbar nicht der einzige Verbreitungsweg für die Plastikteilchen. Weil sie so klein und leicht sind, gelangen sie in die Atmosphäre. Durch Meeresluft, Schnee, Gischt oder Nebel werden sie über Kontinente und Ozeane hinweg transportiert. Das hat ein internationales Team, darunter Forschende des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), herausgefunden. Wie viel Plastik genau so verbreitet wird, ist noch nicht klar. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 13.000 und 25 Millionen Tonnen jährlich.

    Mikro- und Nanoplastik - Belastung für Ökosysteme und Gesundheit

    "Luft ist ein viel dynamischeres Medium als Wasser", erklärt AWI-Meeresbiologin Melanie Bergmann. "Mikro- und Nanoplastik kann so viel schneller in die wenigen bislang noch fast unberührten und entlegensten Bereiche unseres Planeten vordringen." Mit Folgen für Ökosysteme und für die Gesundheit. Die Partikel lagern sich daneben auf Schnee und Eis ab, verringern die Fähigkeit, Sonnenenergie zu reflektieren und könnten so das Schmelzen voranbringen.
    Video von "Terra X": Zwischen Amerika und Asien treibt der "Great Pacific Garbage Patch" mitten im Ozean - wie kommt der Plastikmüll dorthin?
    Zwischen Amerika und Asien treibt der "Great Pacific Garbage Patch" mitten im Ozean, eine Ansammlung hundertausdender Plastikteilchen. Sind wir in Europa nicht auch mit Schuld daran, dass er existiert?12.04.2018 | 7:58 min
    Woher genau die kleinen Kunststoffteilchen kommen - das wollen die Forschenden nun untersuchen. Sicher ist, dass Reifen- und Bremsabrieb im Verkehr sowie Industrieabgase zu den größten Quellen gehören. Aber auch die Ozeane selbst spielen eine Rolle. Denn das Wasser enthält bereits Mikroplastik aus zersetztem Müll. Das gelangt nun offenbar durch Wind, Wellen und Gischt in die Atmosphäre.

    Plastikflut auch in der Arktis

    Nach einer im April veröffentlichten AWI-Studie hat die Plastikflut längst auch die Lebensräume der Arktis erreicht. Dort treiben große Mengen Plastik auf dem Meer. Mikropartikel sind im Wasser, am Meeresboden und in Eis und Schnee nachweisbar - und zwar in einer Menge wie sonst nur in dicht besiedelten Gebieten.

    Unsere Studie zeigt, dass die Plastikverschmutzung in der Arktis bereits ähnlich hoch ist wie in anderen Regionen der Welt.

    Dr. Melanie Bergmann, AWI

    Strömungen und Luft "exportieren" das Problem auch in die weitgehend unberührte Wildnis des hohen Nordens. Allerdings, so Bergmann, stimme es nicht, dass Plastikmüll fast nur aus Asien in die Meere gelange. Der Großteil des im europäischen Teil der Arktis gefundenen und rückverfolgbaren Mülls stamme aus Nordeuropa. Acht Prozent sogar aus Deutschland.

    Fisch zwischen Plastikmüll
    Quelle: ZDF

    Nach Schätzungen landen jedes Jahr etwa 19 bis 23 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Gewässern der Welt. Das sind fast zwei Lkw-Ladungen pro Minute. Er stammt von Schiffen oder er wird in Flüssen entsorgt und in die Ozeane gespült.

    Fünf riesige Müllstrudel treiben bereits auf den Meeren, der größte davon hat in etwa die Ausmaße Europas. Die Folgen: In Netzen und Tüten verheddern sich viele Meeresbewohner und sterben qualvoll. Manche fressen den Müll und ersticken daran. Plastik ist außerdem besonders stabil, reichert sich in den Ozeanen an und zerfällt mit der Zeit in immer kleinere gesundheitsschädliche Teile. Sie werden von den Lebewesen aufgenommen und kommen so in den Nahrungskreislauf.

    Quelle: ZDF

    Dreimal mehr Plastikmüll bis 2060 

    Dass sich die Lage bald entspannt, ist nicht zu erwarten. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht davon aus, dass sich die Menge an Plastikmüll bis 2060 noch verdreifachen wird. Und nur ein Fünftel davon werde recycelt, so eine aktuelle Prognose. Derzeit sind es nicht mal zehn Prozent. Seit den 50er-Jahren wurden etwa 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff hergestellt, von denen mehr als 60 Prozent auf Mülldeponien geworfen, verbrannt oder direkt in Flüsse und Meere gekippt wurden.

    Wenn wir eine Welt ohne Plastikmüll wollen, dann brauchen wir sehr viel stringentere und global abgestimmte Maßnahmen.

    Mathias Cormann, OECD

    Das fordert OECD-Generalsekretär Mathias Cormann. Und Melanie Bergmann vom AWI mahnt: "Allein mit einem verbesserten Abfallmanagement ist das Problem nicht in den Griff zu bekommen." Die weltweite Produktion müsse vor allem spürbar heruntergeschraubt werden.

    Müllabkommen auf dem Weg

    Immerhin: Bei der UN-Umweltkonferenz in Nairobi haben im März die Delegationen von fast 200 Ländern ein Abkommen gegen Plastikmüll auf den Weg gebracht. 2024 könnte es in Kraft treten. Ob es das Ende der Plastikflut einläutet, hängt davon ab, wie ambitioniert und wirkungsvoll es sein wird.
    Mark Hugo ist Redakteur in der ZDF-Umweltredaktion

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