Während in Minneapolis ein Polizist verurteilt wird, erschießt ein anderer in Ohio ein 16-jähriges Mädchen. Der Vorfall zeigt, wie es um Polizeigewalt in den USA steht.
Als die 16-jährige Ma’Khia Bryant erschossen wird, ist es in Columbus, Ohio etwa 17 Uhr nachmittags. Das Opfer: ein schwarzes Mädchen. Der Schütze: Ein weißer Polizist.
Nur wenige Minuten später fällt ein Urteil, das einen anderen weißen Polizisten zur Rechenschaft zieht. Derek Chauvin wird in allen Anklagepunkten für schuldig befunden. Die Jury war sich schnell einig: Als der ehemalige Polizist am 25. Mai vergangenen Jahres mehr als neun Minuten lang sein Bein auf den Hals von George Floyd drückte, war das Mord.
Ein "bekannter Schmerz"
Für Kennedy Kastle wäre es eigentlich ein Tag zum Feiern gewesen. Der Aktivist kämpft in Minneapolis seit Jahren für die Rechte von Schwarzen. Doch als er von dem Tod Ma'Khia Bryants hörte, habe er einen "bekannten Schmerz" gespürt. Kastle sagte: "Wir haben überall im Land Leute gesehen, die gefeiert haben, als hätte es nach dem Urteil gegen Derek Chauvin Gerechtigkeit gegeben."
Dabei mangelte es seit dem Tod von George Floyd im vergangenen Jahr und den anschließenden Protesten der Black-Lives-Matter-Bewegung nicht an Reformen. Laut New York Times wurden 140 neue Gesetze auf Ebene der Bundesstaaten und Kommunen verabschiedet.
Doch Kastle ist überzeugt: Das System muss viel grundlegender geändert werden. Hätte der Tod von George Floyd weniger mediale Aufmerksamkeit bekommen, wäre es sowieso nie zur Verurteilung gekommen.
Die Zahlen geben ihm Recht. In den vergangenen 16 Jahren wurden in den USA nur zwei Prozent der Beamtinnen und Beamten nach einer tödlichen Schießerei strafrechtlich verfolgt. Etwa die Hälfte wurde verurteilt.
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Tausend Tote bei Polizeieinsätzen - jedes Jahr
Etwa tausend Menschen werden jedes Jahr bei einem Polizeieinsatz in den USA getötet. Diese Zahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren praktisch nicht verändert. 23 Prozent der Opfer sind Schwarz - obwohl ihr Anteil in der Gesamtbevölkerung nur bei 13 Prozent liegt.
Die Wut darüber konnte man in den vergangenen Tagen wieder auf den Straßen US-amerikanischer Städte sehen. Die Menschen wollten Gerechtigkeit, nicht nur für George Floyd, sondern auch für Ma’Khia Bryant, Adam Toledo, Daunte Wright, Andrew Brown Jr.. Sie alle starben in den vergangenen Tagen durch die Waffe eines Polizisten. Adam Toledo war erst 13.
Risiko für schwarze Kinder besonders hoch
Die Wahrscheinlichkeit, von Polizisten erschossen zu werden, ist für schwarze Kinder sechs Mal höher als für weiße. Für Kinder mit hispanischem Hintergrund ist das Risiko drei Mal so hoch.
- Was schwarze Mütter ihren Kindern sagen
"The Talk" heißt das Gespräch über Rassismus und Polizeigewalt, das schwarze Eltern oft mit ihren Kindern führen, um sie zu schützen.
Zur Wahrheit gehört auch: Ma’Khia Bryant war offenbar bewaffnet. Wie auf einem Polizeivideo zu sehen ist, hatte sie ein Messer, ging damit offenbar auf zwei andere Mädchen los. Der 13-jährige Adam Toledo trug Videoaufnahmen zufolge eine Pistole bei sich. In dem Moment, in dem ein Polizist auf ihn schoss, hatte er sie aber bereits fallen gelassen.
Aber auf Kinder schießen? Für Kennedy Kastle vollkommen unverständlich. "Wieso bezahlen Steuerzahler*innen für Elektroschocker, die nicht genutzt werden? Wieso bezahlen sie für deeskalierende Polizei-Methoden, wenn sie nicht angewendet werden? Das wird sich nie ändern, egal wie viele Gesetze verabschiedet werden."
Gewaltprävention statt Gegengewalt
Die einzige Chance sieht der Aktivist in einem neuen System, das auf Gewaltprävention setzt, statt auf Gegengewalt.
Für ein solches System kämpft er in Minneapolis. Aber er hofft, dass es eines Tages überall so sein wird - in Ohio, Chicago, den gesamten USA.
Der Autorin auf Twitter folgen: @ninaniebergall
- Minneapolis: Erster Schritt zur Gerechtigkeit
Auf dem George-Floyd-Platz wird gesungen und getanzt. Und doch ist die Freude bei einigen getrübt. Denn die Polizeigewalt in den USA ist längst nicht überwunden.