Wut-Demos: "Es geht um Feindbilder, nicht um Kritik"

    Interview

    Wut-Demos:"Es geht um Feindbilder, nicht um Kritik"

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    Corona, Ukrainekrieg, Energiekrise: Die Themen ändern sich, der Protest aber bleibt und ist gefährlich, wie Sozialpsychologin Pia Lamberty erklärt.

    Protest gegen Corona-Maßnahmen in Leipzig
    Protest gegen Corona-Maßnahmen in Leipzig
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Es ist vermeintlich ruhig geworden um die Verschwörungstheoretiker. Trügt der Schein?
    Pia Lamberty: Man hat das Gefühl, da passiert gar nicht mehr so viel. Ich würde dem aber nicht so zustimmen, weil Proteste nach wie vor stattfinden. Allerdings sind die unglaublich schwer zu quantifizieren.

    Dadurch, dass weniger genau hingeschaut wird beziehungsweise weniger öffentliches Interesse da ist, weiß man eigentlich gerade überhaupt nicht, wie viel Mobilisierung gerade wo stattfindet.

    Pia Lamberty
    Quelle: CeMAS

    ... forscht als Sozialpsychologin zu Verschwörungsideologien. 2021 gründete sie dafür den Thinktank "CeMAS – Center für Monitoring, Analyse und Strategie". Zusammen mit der Netzaktivistin Katharina Nocun veröffentlichte sie 2020 das Sachbuch "Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" und 2021 "True Facts - Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft." Ihr neuestes Werk: "Gefährlicher Glaube - die radikale Gedankenwelt der Esoterik".

    ZDFheute: Wieso hat denn das öffentliche Interesse derart abgenommen?
    Lamberty: Das betrifft ja leider viele Themen, dass das Interesse nicht die Relevanz widerspiegelt. Das sieht man bei Afghanistan genauso wie beim Krieg in der Ukraine. Auch hier sieht man ja leider ein abnehmendes Interesse, eine Art Gewöhnungseffekt. Das sind aber auch die Momente, die gefährlich werden können, weil gesellschaftliche Begleitung ausbleibt, die eine Radikalisierung verschärfen kann. Weil diese Gruppen das Gefühl haben, noch aggressiver auftreten zu müssen, um sichtbar zu werden.
    ZDFheute: Im Netz kündigt die Szene einen "heißen Herbst" an. Was heißt das?
    Lamberty: Ich glaube nicht, dass wir demnächst große bundesweite Mobilisierungskampagnen haben werden, sondern eher regionale Kampagnen, die die rechte Szene für sich auszunutzen weiß.
    ZDFheute: Wogegen richtet sich eigentlich noch die Wut der Coronaleugner? Fast alle Maßnahmen sind weggefallen.
    Lamberty: In einem verschwörungsideologischen Weltbild beschäftigt man sich nicht mehr kritisch mit Ungerechtigkeiten, sondern man trifft vorab Urteile, dass "die da oben" abgrundtief böse sind und geheime Pläne haben, um die Gesellschaft zu zerstören. Bei Corona war es die Impfung, über die die Menschheit "reduziert" werden sollte. Da waren die Feindbilder Wissenschaftler und Politiker. Jetzt werden Schuldige für die Energiekrise gesucht. Auf einmal richtet sich der Protest gegen Robert Habeck. Da geht es aber nicht um Kritik, sondern um Feindbilder. Corona ist nach wie vor da und spielt eine Rolle. Aber man sieht, dass bei den so genannten Spaziergängen die Banner ausgetauscht wurden.

    Aus dem "Nein zur Impfpflicht" wurde ein "Nein zur NATO". Sie werden einfach nur auf ein anderes Thema umgelenkt.

    ZDFheute: Vor einigen Monaten nahm sich eine österreichische Ärztin das Leben, die den Druck aus der Anti-Corona-Szene nicht mehr aushielt - sie erhielt Morddrohungen, fühlte sich von den Behörden nicht ausreichend geschützt. Verlagert sich der Protest zunehmend vom Netz vor die Haustür?
    Lamberty: Ich denke, das geht beides Hand in Hand. Meiner Meinung nach wird sich das in den nächsten Monaten auch nochmal verschärfen, wenn diverse Personen zu Sündenböcken gemacht werden im Kontext der Energiekrise.
    ZDFheute: Aber haben wir aus den Coronaprotesten etwas gelernt? Werden Hetze im Netz und auf der Straße heute ernster genommen als noch vor der Pandemie?
    Lamberty: Es hat nicht den Eindruck, dass Verrohung der Gesellschaft in der Pandemie und die politischen Hintergründe so in der Gesamtheit benannt und verstanden wurden. Man hat viele Alltagsaggressionen, die aufgrund von Feindbildern stattfinden. Wenn man aufgrund einer Maske attackiert wird - das hat ja was mit politischer Hetze, mit politischer Stimmungsmache zu tun.
    Eine Maske ist ja erstmal ein vollkommen neutraler Gegenstand, der in der Pandemie extrem politisiert wurde. Und da wurde leider nicht genau genug hingeschaut. Leider ist es so, dass ein Großteil der Straftaten, die im Kontext von Corona stehen, als politisch nicht zuzuordnen sind.

    Wir sind an einem Punkt, wo die Demokratie global stark bedroht wird, und das muss man ernstnehmen.

    Das Interview führte Julia Lösch.

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