Der Krieg in der Ukraine gibt vielen ein Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit. Auch in Deutschland bereitet er vielen Angst. Wie also umgehen mit der Krisensituation?
Über nichts wird aktuell so viel gesprochen wie über den Ukraine-Krieg. Die Situation belastet auch hier in Deutschland viele. Während manche besser mit der Situation zurechtkämen, fühlten sich andere damit überfordert, sagt Dr. Leon Windscheid. Im Gespräch mit ZDFheute gibt der Psychologe Tipps, wie man mit der psychischen Belastung umgehen kann.
Wie kann man informiert bleiben, ohne zu verzweifeln?
Im Moment wollten viele jede Information und Schlagzeile konsumieren, erklärt Windscheid. Das sei normal. Dadurch versuche man Angst abzuschütteln, die man derzeit womöglich verspüre.
Alle drei Dinge, die Angst auslösen, treffen nämlich laut Windscheid in der aktuellen Situation zu:
- das Unbekannte
- das Unerwartete
- das Unkontrollierbare
Deshalb fühle sich jede neue Information kurzfristig gesehen entlastend an. Dann könne aber schnell eine Art Spirale entstehen, in der man sich immer weiter in die Negativität reinsteigere, erklärt der Psychologe. An diesem Punkt angekommen, sei es wichtig, einen Cut zu setzen.
Borwin Bandelow, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie, im Gespräch
Wie kann man mit der Nachrichtenlage besser umgehen?
Zum Beispiel solle der Tag weder mit dem Handy noch mit den Nachrichten unmittelbar begonnen und beendet werden, rät Windscheid.
Mit dieser Einstellung solle man auch zu Bett zu gehen. Sonst würde man all die Sorgen und Gedanken mit in die Nacht nehmen. Windscheid rät außerdem dazu, valide und keine reißerischen Quellen und grundsätzlich weniger Nachrichteninhalte zu konsumieren. Es könnte reichen, morgens nach dem Frühstück und dann erst abends die Nachrichten erneut zu prüfen. So bliebe man informiert und der Kopf merke gleichzeitig, dass etwas passiere.
-
Außerdem könne man Halt in seinen Routinen finden. Denn alles, was routiniert ablaufe, würde dem Kopf Halt geben, erklärt der Psychologe. Falsch wäre es, das Leben aus dem Ruder laufen zu lassen. Und: "Ablenkung ist okay", sagt Windscheid. "Wem wäre jetzt geholfen, sich fertig zu machen?", fragt der Psychologe. Man könne nur für andere da sein, wenn man selbst Kraft habe.
Ist es normal, dass man sich schlechter fühlt als andere?
Menschen würden mit solchen Situationen unterschiedlich umgehen, erklärt Windscheid. Während manche keine sofortigen Lösungen bräuchten und besser mit der Ungewissheit einer solchen Krisensituation zurechtkämen, überfordere es andere. Menschen hätten stets das Bedürfnis, Antworten und schnelle Lösungen zu finden, damit die Ungewissheit nachlasse. In dieser Lage müssen wir uns aber darauf einstellen, dass das vorerst nicht möglich sei, erklärt er.
Interview- "Brennt sich in die Seele von Kindern ein"
Hunderttausende Menschen fliehen zurzeit vor dem Krieg in der Ukraine. Der Psychologe Georg Pieper erklärt, wie traumatisch solch eine Erfahrung sein muss, besonders für Kinder.
In einer solchen Situation sei es zudem wichtig, dass man seine negativen Gefühle anerkenne und mit anderen darüber spreche. Solche Gefühle wolle man zwar nicht haben, sie aber beiseitezuschieben wäre nicht sinnvoll - im Gegenteil, sagt Windscheid. Vielmehr werde der Druck, der auf einem laste, größer. Er vergleicht es mit einem Wasserball:
Sind das "First World Problems"?
Leid sei nichts, was man vergleichen oder in Relation setzen solle. Da, wo eine Person leide, käme eine andere womöglich besser zurecht.
Wenn jemand unter etwas leide, dann habe der- oder diejenige einen Anspruch auf Hilfe. Insbesondere diejenigen, die schon vor der jetzigen Situation in der Ukraine ein "Riesenpäckchen" mit sich tragen mussten, könnten jetzt eine noch größere Belastung verspüren, sagt Windscheid. Wer feststelle, dass das eigene Leid so groß sei und man selbst nicht mehr im Alltag klarkomme, solle sich Hilfe holen. Ein erster Schritt könne dabei sein, mit Vertrauten zu sprechen. Aber auch die Telefonseelsorge sei jederzeit kostenfrei erreichbar, unter 0800 111 0111 oder 0800 111 0222.