Psychotherapie: Das lange Warten auf mehr Therapieplätze

    "Dauerpatient" Psychotherapie:Das lange Warten auf mehr Therapieplätze

    Jonas Wengert
    von Jonas Wengert
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    Wer sich bei Ängsten oder Depressionen Hilfe sucht, findet oft keinen Therapieplatz; seit Jahren ist das so. Dabei hatte die Ampel versprochen, mehr Kapazitäten zu schaffen.

    Fehlende Therapieplätze durch Corona
    Für Menschen mit psychischen Problemen hat die Corona-Pandemie das Leben noch schwerer gemacht, denn Therapien waren oft unmöglich.27.01.2023 | 3:04 min
    Seit sie 13 ist, kämpft Mika mit Depressionen. Sie wohnt in Berlin und möchte nur mit ihrem Spitznamen genannt werden. Aktuell wartet Mika - auf Rückrufe, auf Antworten per Mail, auf die Möglichkeit, endlich eine Therapie beginnen zu können.
    Doch entweder bekommt sie Absagen oder die Praxen melden sich gar nicht zurück.

    Gerade mit Depressionen fällt es sehr schwer, überhaupt die Energie für die Suche nach einem Therapieplatz zu finden.

    Mika

    Für die jetzt 20-Jährige waren besonders die letzten Corona-Jahre psychisch belastend. Die ungewisse Lage machte ihr Angst, die Struktur im Alltag geriet ins Wanken.
    Zudem habe sie sich während der Lockdowns sehr einsam gefühlt. "Ich habe in der Zeit gemerkt, dass es mir nochmal schlechter ging als vor der Pandemie", sagt Mika.

    Häufung von Krisen ist für Jugendliche starke Belastung

    Sie ist kein Einzelfall. Krisen wie Krieg, Inflation oder Klimawandel können Einfluss auf die psychische Gesundheit haben. Gerade seit Beginn der Corona-Pandemie sei der Bedarf an Therapie deutlich gestiegen, sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Bei Erwachsenen habe die Nachfrage um 40 Prozent zugenommen, bei Kindern und Jugendlichen sogar um 60 Prozent.

    Wir haben pandemiebedingt eine besondere Nachfragesituation.

    Dietrich Munz, Bundespsychotherapeutenkammer

    Guido Neumann kann diesen Eindruck aus seiner Praxis bestätigen. Er ist Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche in Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. Früher habe er zwei bis drei Anfragen pro Woche bekommen, inzwischen seien es bis zu zehn.

    Gefahr der Chronifizierung bei nicht therapierten Erkrankungen

    Viele seiner Patienten haben Angststörungen oder Depressionen. Während Corona hätten fehlende Sozialkontakte und mehr familiäre Konflikte diese Probleme verstärkt - die Pandemie habe "wie ein Katalysator gewirkt". Laut Neumann können sich psychische Erkrankungen, die nicht therapiert werden, chronifizieren:

    Ein unbehandeltes Kind oder ein unbehandelter Jugendlicher wird vermutlich auch kein gesunder Erwachsener werden.

    Guido Neumann, Psychotherapeut

    Neumann kann seine Behandlungen über die Krankenkasse abrechnen. Wer keinen Platz bei einem Therapeuten mit Kassensitz findet, müsste Therapiestunden privat bezahlen - viele Betroffene wie Mika können sich das nicht leisten.

    Zahl der Therapeuten ist seit 1999 begrenzt

    Das Problem: Die Zahl der Kassensitze ist in Deutschland begrenzt durch die sogenannte Bedarfsplanung aus dem Jahr 1999. Zwar wurden 2019 rund 800 neue Kassensitze geschaffen, laut Kammerpräsident Munz bräuchte es aber mindestens dreimal so viele.
    Wie viele Sitze es gibt, entscheidet der von der Bundesregierung beauftragte "Gemeinsame Bundesausschuss". In diesem Gremium sind auch die Krankenkassen stark vertreten. Sie fürchten höhere Kosten und schlagen vor, zunächst mit einer zentralen Vermittlung transparent zu machen, wo es noch freie Plätze gibt. Florian Lanz ist Sprecher des GKV-Spitzenverbandes und sagt:

    Die aktuelle Lage ist besser als ihr Ruf.

    Florian Lanz, Sprecher GKV-Spitzenverband

    Nilüfer Türkmen (li.) und "Forum"-Moderatorin Dilek Üsük
    Rund 28 Prozent der Menschen in Deutschland sind von einer psychischen Erkrankung betroffen. Auch Menschen aus der muslimischen Community.25.11.2022 | 15:33 min
    Laut jüngsten Umfragen hätten 80 Prozent derjenigen, die eine psychotherapeutische Behandlung suchen, innerhalb von einem Monat erste Kontakte und Gespräche gehabt.

    Durchschnittswartezeit auf Therapie aktuell bei fünf Monaten

    Psychotherapeut Neumann ist nicht überzeugt:

    Mit einem Erstgespräch ist noch keinem geholfen.

    Guido Neumann, Psychotherapeut

    Es sei zwar der erste Schritt, anschließend müssten jedoch probatorische Sitzungen folgen. "Und wenn ich dafür keine Kapazitäten habe, dann bringt das erste Gespräch für den Patienten auch nichts."
    Im Schnitt warten Betroffene derzeit knapp fünf Monate auf einen Therapieplatz. Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag versprochen, Wartezeiten zu reformieren. Im März 2022 sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): "Das gehört zu den vielen Projekten, die wir in den nächsten Monaten beginnen werden."
    Digitale Hilfe für junge Menschen in Krisen
    Für junge Leute mit psychischen Erkrankungen gibt es auch digitale Hilfsangebote. 29.12.2022 | 5:16 min

    Ampel-Versprechen auf mehr Therapieplätze bisher nicht umgesetzt

    Seither sind über zehn Monate vergangen - passiert ist bislang nichts. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) ist stellvertretende Vorsitzende im Gesundheitsausschuss. Sie erhöht den Druck auf Lauterbach:

    Es braucht jetzt einen Auftrag des Gesundheitsministeriums an den Gemeinsamen Bundesausschuss, die Bedarfsplanung so anzupassen, dass es mehr Plätze für Psychotherapie gibt.

    Kirsten Kappert-Gonther, stellv. Vorsitzende Gesundheitsausschuss

    "Da darf man jetzt nicht mehr länger warten," fügt Kappert-Gonther hinzu.
    Mika sucht inzwischen seit rund vier Monaten nach einem festen Therapieplatz: "Ich sehe nicht wirklich ein Ende, sondern habe nur das Gefühl, ich muss irgendwie durchhalten." Ihre Ausbildung zur Friseurin musste sie abbrechen. Jetzt will Mika eigentlich ihr Abitur nachholen - vorausgesetzt sie wird gesund.
    Kirsten Kappert-Gonther
    Gerade in Krisenzeiten steigen die psychische Belastung und der Bedarf an Psychotherapie. Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen fordert deshalb mehr Therapieplätze.25.01.2023 | 0:54 min

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